„Das Dasein begann in eine Welt hineinzugleiten, die ohne jene Tiefe war, aus der jeweils das Wesentliche auf den Menschen zu- und zurückkommt, ihn so zur Überlegenheit zwingt und aus einem Rang heraus handeln lässt. Alle Dinge gerieten auf dieselbe Ebene, auf eine Fläche, die einem blinden Spiegel gleicht, der nicht mehr spiegelt, nichts mehr zurückwirft. Die vorherrschende Dimension wurde die der Ausdehnung und der Zahl.“ (Martin Heidegger, Einführung in die Metaphysik)
Eigentlich wollte ich gestern Abend im Sparten- und Kulturkanal Arte eine Dokumentation über die globalen Machenschaften des Bankhaus Goldmann Sachs anschauen. Funkloch! Daraus wurde also mangels Empfang nichts. So blieb ich beim geliebten ZDF hängen, auch spannend. Es ging um die Sicherheitsarchitektur des kommenden Jahrhunderts, den Islam und die Herausforderungen für das System. Eine wichtige Rolle spielen dabei Extremisten, die heute den alten Extremismus mangels Masse gekonnt individualisieren.
Auf der eine Seite wurde der selbst ernannte „Pressesprecher“ der German Defense League, auf der anderen Seite der selbst ernannte „Pressesprecher“ der Salafisten präsentiert. Pressesprecher 1 wandte sich gegen die Islamisten, drohte und hatte gleichzeitig keine Ahnung vom deutschen Idealismus, Goethe oder Schiller. Pressesprecher 2 wandte sich gegen die Deutschen, drohte und hatte gleichzeitig keine Ahnung vom Amal von Madina, den Mu‘amalat oder der Zakat. Ein Blick genügte, um zwei Kinder der Moderne zu erleben, gleichermaßen geschichts- und bildungslos; und bei aller Feindschaft auch irgendwo Brüder im Geiste.
Vermutlich intelligenter als die Protagonisten ist das Konzept dahinter. Inhaltlich entstand – beinahe nebenbei – ein geschlossenes System der Ideologien; etwas düster und ziemlich trist. Die Folge: Betroffenheit. Ein Spektakel droht, so lehrte die Sendung nun mit dunklem Unterton und zwar so: Die Extremisten werden bald aufeinander stürzen und – so die finale Logik des Beitrags – nur mit sehr viel Polizei und sehr viel Geheimdienst kann das Gemeinwesen oder – besser gesagt – das System gerettet werden. Ich fragte mich nun, ob diese „Extremisten“ tatsächlich das System gefährden oder doch gerade eines seiner Teile sind?
Das ZDF hatte natürlich eine für uns Muslime salamonische Lösung anzubieten. Ein freundlicher Muslim (echt, mit Bart, lang!) vollzog nun für uns alle das Ende der „Story“ und präsentierte – bei so viel Schrecken war das ja nun wirklich nötig – sein wohltuend harmloses Bekenntnis. Er sei kein Extremist, für Menschenrechte und die Demokratie. Eigentlich eine Binsenweisheit, es kam aber gut an. Nur – am Rande erwähnt – mein leiser Verdacht: Der gute Mann hatte ebenso keine Ahnung vom deutschen Idealismus, von Goethe und Schiller, dem Amal von Madina, den Mu'amalat und der Zakat. Aber natürlich: Ich war ja auch beim ZDF (dort schaut man Champions League!) und nicht bei Arte.
Auf Arte (ich bekomme diesen blöden Sender einfach nicht rein) wurde parallel präsentiert, wie sich sich als Folge der ausufernden Finanztechnik – über ein geschlossenes System, ohne Geschichte und ohne Zukunft – langsam ein Schirm spannt. Unter diesem Schirm wirken sogar die Extreme machtlos und wir sowieso. Für die einen ist es ein Rettungsschirm, für andere das Ende der Demokratie. Die einen schauen normalerweise ZDF und Champions League, die anderen Arte.