Das Recht ist in der arabischen Welt seit Jahrzehnten in der Krise. Besonders krass zeigt sich der Niedergang des Rechtsempfindens im Ausnahmezustand. Hier gelten weder nach westlicher noch islamischer Sicht die bekannten Regeln. Die Revolution in Libyen liefert nun ein weiteres trostloses Beispiel. Der Umgang mit Zivilisten und mit dem besiegten Feind lässt jede Würde vermissen und erinnert an dunkle Barbarei.
Der neue Staat wird nun schnell Ordnung schaffen, auch, um als Vertragspartner für die Ölkunden seine internationale Rolle zu spielen. Die Energiemärkte sind ungeduldig und erwarten nicht nur schnell stabile Verhältnisse, sondern auch schnelle Lieferung der begehrten Rohstoffe.
Es bleibt völlig offen, ob die Libyer nur die Modernisierung der alten Diktatur erleben werden. Der Umgang mit Gaddafi, dem Diktator Europas, hat gezeigt, dass Europa bei der Etablierung von Rechtsstaatlichkeit nicht zwingend der Partner einer Zivilgesellschaft sein muss.
Die sogenannte Revolution der arabischen Massen geht gleichzeitig in eine weitere Runde.
Die Wahlen in Tunesien zeigen, dass viele Bürger muslimisch orientierte Parteien wählen. Interessant ist, dass die verschiedenen Formen des politischen Islam bisher die Regeln des islamischen Wirtschaftsrechts ignorieren. Das islamische Recht, in weiten Teilen der arabischen Welt augenscheinlich in Vergessenheit geraten, verbietet nicht nur Terrorismus und Selbstmordattentate, sondern auch die Zinsnahme.
Der politische Islam hat wie jede Politik heute nur eine begrenzte Macht. Interessant wird zum Beispiel sein, wie die neuen muslimischen Parteien, nach dem Untergang der alten politischen Lager, mit der ökonomischen Klasse in ihren Ländern umgehen werden. Sind diese Parteien überhaupt in der Lage, die Macht der alten Oligarchen einzugrenzen?
Nach westlichen Denkmaßstäben geht es hier um das Primat der Politik, dass – wie uns die Finanzkrise zeigt – allerdings kaum im Westen selbst aufrecht gehalten werden kann. In der WELT findet sich eine Analyse über die Macht der wichtigsten Wirtschaftsunternehmen. Zürcher Forscher hatten festgestellt, dass von 43.060 Konzernen 1318 Firmen vier Fünftel der am Umsatz gemessenen Weltwirtschaft dominieren. Die Elite dieser Elite besteht aus 147 Firmen, die nicht nur über ihr eigenes Schicksal entscheiden, sondern über rund 40 Prozent der Weltwirtschaft. Genauer heißt es in dem Artikel über die aktuellen Machtverhältnisse:
“Fest steht, dass die Macht der Finanzkonzerne – im Kontrollranking weit über ihren Umsatz und volkswirtschaftliche Leistung hinaus vertreten – ungebrochen ist. Dies liegt vor allem auch an ihrer in der Rangliste nicht erfassten Verflechtung mit der Politik.“
Im Islam ist Ausdruck einer gerechten Ordnung die Etablierung der Zakat. Die Zakat ist das starke Signal der Solidarität der Reichen mit den Armen. Ohne die sichtbare Einschränkung und Verpflichtung der ökonomischen Macht wird in den arabischen Ländern nur eines wirklich sicher bleiben: die große Zahl der Armen. Diese Armen und ihre trostlosen Lebensverhältnisse sind der eigentliche Skandal der arabischen Welt und ein weiteres Zeichen seiner drohenden Barbarisierung.