Es gibt einen Mythos in Deutschland: den Mythos über den „unbequemen“ Zeitgenossen, der sich dem stromlinienförmigen Denken entzieht, Courage zeigt oder Widerstand leistet – desöfteren sind diese im Boulevard gepflegten Persönlichkeiten allerdings Charaktere, deren Heldenmut oder Aufstandsvermögen sich kaum in konkreten Situationen beweisen musste. Oft genug handelt es sich auch nur um die verklärte Rhetorik einer längst etablierten, schlichten Mehrheitsmeinung.
Jürgen Todenhöfer hat sich einerseits als erfolgreicher Medienmanager, Politiker und Autor als „Stütze der Gesellschaft“ erwiesen, aber, andererseits, auch eine Souveränität bewahrt, die sich im Ausnahmezustand zeigt. Seinen bequemen Vorstandssessel beim Burda-Verlag hat er immer wieder verlassen, um auf abenteuerlichen Reisen in den Irak selbst heraus zu finden, „was gut und böse ist“. Todenhöfer kann auch mit der ungemütlichen Konsequenz seines Forscherdrangs leben: „Wir, der Westen, wir sind nicht die Guten, waren es vielleicht nie.“
Todenhöfer gehört zu den wenigen Deutschen, die wirklich interessiert hat, was der Krieg gegen den Terror auf der „anderen“ Seite gekostet hat und den Zynismus verspürt, der in der unterschiedlichen Bewertung eines arabischen und eines europäischen Toten liegt. Es gehört zum Zustand dieses Landes, dass weniger das Argument, als vor allem die anarchische Motivation Todenhöfers, die hinter der Schaltung mehrerer kostspieliger Anzeigen in führenden Zeitungen hervorgeht, Aufsehen erregt hat: „Wie kann man nur für eine Meinung soviel Geld ausgeben?“
Auf FAZ-Online findet sich heute ein ausgewogener Artikel über den ungewöhnlichen Mann. Seine Motivation gibt die FAZ trocken wieder: Er habe es einfach nicht mehr ausgehalten, die Lügen, die falsche Rollenverteilung, dass sich der Westen immer noch als das Opfer sieht und die Muslime als die intrinsisch Aggressiven darstellt, wo es sich doch exakt umgekehrt verhält. Todenhöfer legt uns – nüchtern wie ein Kellner – die Rechnung vor: „Bin Ladin hat 5000 Menschen getötet, Bush mehrere hunderttausend.“
Natürlich wird man Todenhöfer vorwerfen, er stelle den demokratischen Politiker mit dem Verbrecher auf eine Stufe. Doch das ist nicht das Argument. Todenhöfer gehört nur zu den Seismografen, die erkennen, dass der Westen selbst einen totalitären, maßlosen Vollzug seiner Werte zu verantworten hat. Besonders im Verlust der Verhältnismäßigkeit zeigt sich die Annäherung an eine größenwahnsinnige Wertemaschinerie, der nur noch durch wenige menschliche Größen Einhalt geboten wird. Todenhöfer gehört zu diesen unbequemen „Bremsern“.
Die zehn Thesen Todenhöfers:
1. Der Westen ist viel gewalttätiger als die muslimische Welt. Millionen arabische Zivilisten wurden seit Beginn der Kolonialisierung getötet. 2. Angesichts der Kriegspolitik des Westens ist es nicht wirklich erstaunlich, dass muslimische Extremisten immer mehr Zulauf bekommen. 3. Islamisch getarnte Terroristen sind Mörder. Für christlich getarnte Anführer völkerrechtswidriger Angriffskriege kann nichts anderes gelten. 4. Muslime waren und sind mindestens so tolerant wie Juden und Christen. Sie haben die westliche Kultur entscheidend mitgeprägt. 5. Nicht nur in der Bibel, auch im Koran sind die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten die zentralen Gebote. 6. Die westliche Politik gegenüber der muslimischen Welt leidet unter einer erschreckenden Ignoranz einfachster Fakten. 7. Der Westen muss die islamische Welt genauso fair behandeln, wie er Israel behandelt. Muslime sind so viel wert wie Juden und Christen. 8. Die Muslime müssen sich wie ihr Prophet Mohammed für einen Islam des Fortschritts und der Toleranz einsetzen. Sie müssen dem Terrorismus die religiöse Maske vom Gesicht reißen. 9. Nichts fördert den Terrorismus mehr als die „Antiterrorkriege“ des Westens. Die muslimischen Länder müssen ihre Probleme mit dem radikalen Islamismus selber ausfechten. 10. Das Gebot der Stunde heißt Staatskunst, nicht Kriegskunst – im Irankonflikt, im Irakkonflikt und im Palästinakonflikt.
Quelle: www.warumtoetestduzaid.de