Der Umgang mit den Muslimen in Europa beschäftigt auch immer wieder muslimische Rechtsanwälte. Zu klärende Fragen über den Minderheitenstatus der Muslime in Europa gibt es genug. Ein Problem für Nicht-Muslime ist dabei immer wieder, zu verstehen, dass das islamische Recht eben auch die alltägliche Lebenpraxis wie zum Beispiel das Gebet oder die Zakat regelt. Die Forderung nach der Abschaffung des islamischen Rechts ist genauso absurd wie die Forderung an katholische Christen, das Kirchenrecht aufzugeben. Die Rolle des Rechts im Islam ist nichts anderes, als die Substanz des Islam zu wahren, aber auch dessen Ideologisierung zu verhindern. Muslimische Rechtsgelehrte gehen an diese Fragen zunächst einmal auch ohne hintergündige politische Absichten heran. Im Juli plane ich hierzu ein Arbeitstreffen in Istanbul.
Da es in Zeiten der zunehmenden strukturellen Überwachung der Muslime an einer muslimischen Lobby in Europa fehlt, ist auch das Gespräch mit europäischen Juristen fruchtbar. Hier gibt es viele juristisch geschulte Denker, die die Neigung der Politik zum Sicherheitstotalitarismus kritisch hinterfragen. Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, hat zum Beispiel vor Einschränkungen der Grundrechte durch ein auf Sicherheit fixiertes Strafrecht gewarnt. Seit einiger Zeit sei eine Neigung des Gesetzgebers zur Ausweitung und Verschärfung von Strafen zu beobachten, sagte Hassemer laut Redemanuskript am Abend des 24.03.2006 beim 30. Strafverteidigertag in Frankfurt am Main.
Bisweilen werde Verbrechensfurcht geschürt, um damit Gesetzesverschärfungen zu propagieren. Wenn mit Gefahrenszenarien wie den Anschlägen von New York, Madrid oder London argumentiert werde, hätten die Freiheitsrechte in der Diskussion „keine Chance“, so Hassemer. Bedenklich sind allerdings auch Thesen, die der Bonner Strafrechtsprofessor Günther Jakobs mit seinem Konzept eines „Feindstrafrechts“ aufgestellt hat. Das Feindstrafrecht ist für Jakobs das Gegenstück zum üblichen Bürgerstrafrecht, bei dem konkrete Rechtsgutverletzungen rechtsstaatlich bestraft werden. Im Feindstrafrecht gehe es vor allem darum, präventiv Sicherheit zu wahren. „Wer sein Leben dauerhaft an kriminellen Strukturen ausgerichtet hat, wird von der Gesellschaft nicht als Person mit vollen Rechten behandelt“, erklärte Jakobs.
Jakobs fordert damit nichts Anderes, als den Ausnahmezustand hoffähig zu machen. Der Freiburger Strafrechtsprofessor Jörg Arnold rief sogar zum „juristischen Widerstand“ gegen das Feindstrafrecht auf, welches die Rechtspraxis schon lange erreicht habe. Das Denken in Feindbilder unterminiert auf Dauer die Idee der Gerechtigkeit. Zu den Skandalen dieser Tage gehört auch, dass der offensichtlich unschuldige Bremer Muslim Murat Kurnaz, der in Guantanamo einsaß, trotz entsprechender Angebote der US-Regierung von Deutschland nicht aufgenommen wurde und damit weiter einsitzt.
Schade, dass an solchen Debatten um die Politisierung des Rechtes sich nicht auch muslimische Anwälte stärker beteiligen. Hierher gehört auch die kritische Beurteilung des unbestimmten Begriffes „Islamismus“. Fatal ist hier, den Unterschied im Islam zwischen Tradition und Modernismus, zwischen orthodox Praktizierenden und modernistischen Ideologen unter den Tisch fallen zu lassen. War Maulana Rumi nach den heute gängigen Kriterien ein Islamist? Aber auch in den innerislamischen Debatten können muslimische Anwälte die völlige Politisierung des Denkens in Frage stellen. So wird das Recht der Zakat oder der Stiftungen (Auqaf), die die lokale Einheit der Muslime symbolisieren, von den Vertretern der politischen Idee der zentralen „Repräsentanz“ kaum reflektiert. Die islamische Rechtslehre ist heute demzufolge dem politischen Islam fast vollständig untergeordnet.