„Patriotismus ist Liebe zu den Seinen; Nationalismus ist Haß auf die anderen.“ Richard von Weizsäcker
Der russische Symbolist Andrej Belyj beschrieb die Wirkung von Symbolen einmal damit, dass sie am Wegesrand stünden und auf den richtigen Weg wiesen. Insofern ist Slobodan Milosevic ein negatives Symbol, dessen Politik zweifellos auf den falschen Weg führte. Milosevic symbolisiert dabei nicht nur die Abgründe nationalistischer und rassistischer Politik. Milosevic steht auch für die aktive Förderung des Vernichtungsfeldzuges gegen die bosnischen Muslime, ganz im Sinne einer so alten wie skrupellosen Blut- und Bodenpolitik. Ein Trauma für den Islam im Europa der 1990er Jahre, eine Tragödie, nur wenige Autostunden von München entfernt. Ein trauriges Kapitel für sich ist dabei die Rolle einiger unbelehrbarer Intellektueller, die bis zum bitteren Ende zum Serbenführer hielten. Hierher gehört auch die kritische Aufarbeitung des französisch-serbischen Verhältnisses, das den Diktator in Belgrad lange Zeit schützte.
Die Muslime sind nicht die Richter des Verfahrens gegen Milosevic, noch interessieren sie die näheren Todesumstände. Den Muslimen ging es um die Festschreibung der unrühmlichen geschichtlichen Rolle des serbischen Nationalismus und der serbisch-orthodoxen Kirche im Balkankrieg. In Den Haag ging es aus muslimischer Sicht darum, die Unterscheidung zwischen Täter und Opfer im Krieg auf dem Balkan immer klar und eindeutig unterscheidbar zu halten.
Darüber hinaus gehört die Reflexion auf den bosnischen Islam und seine Rolle während und nach dem Krieg natürlich auch heute zur Debatte über das Schicksal der Muslime in Europa. Es besteht eine Neigung, die Muslime vorschnell, aufgrund unrühmlicher Einzelfälle, aus der europäischen Tradition auszugrenzen. Diese Haltung ist falsch. Das große Unrecht, das den europäischen Muslimen auf dem Balkan wiederfuhr, hat weder zu Rachefeldzügen, noch zu einem Terrorismus oder Extremismus geführt. Die islamische Lehre in Bosnien hat gottlob zu keinem Zeitpunkt in Selbstmordattentaten oder totaler Kriegsführung eine Option gesehen. Diese Umstände gehören genauso zur Beurteilung der Rolle des Islam in den Konflikten dieser Zeit.
Wer den angeblichen Kampf der Kulturen, den Huntington beschwört, mit der Rolle des Islam verknüpfen will, muss das bosnische Beispiel aus vielen Gründen nachdenklich stimmen. Huntington hat nicht zufällig nie über Bosnien gesprochen. Zweifellos gehört der Islam in Bosnien zur europäischen Kultur. In einem Gespräch mit dem vom Krieg gezeichneten Alija Izetbegovic, kurz vor seinem Tod, hat dieser gesagt, dass das Schlimmste ein neuer Krieg der Kulturen auf dem Balkan wäre, geführt zwischen jungen Menschen, die Schwierigkeiten hätten, das Originäre ihrer jeweiligen Kultur noch zu definieren. Den Islam, so Izetbegovic, habe er intellektuell in einem Konflikt und einer Auseinandersetzung mit der kommunistischen Vergangenheit des Landes verortet. Symbolisch habe der Islam für ihn auf einen Mittelweg zwischen der Legitimität von Eigentum einerseits und der Begrenzung ökonomischer Macht andererseits verwiesen. Die Erfahrungen der bosnischen Muslime stärken jedenfalls den Glauben an die Sinnlosigkeit rassischer Überlegenheitsfantasien, die Europa lange Zeit geprägt haben.