In mehreren verschiedenen Überlieferungen vom Propheten heißt es auch: „Wer an Allah und den Jüngsten Tag glaubt, der soll seinen Nachbarn ehren.“ In einem weiteren Hadith fragt ‘A’ischa den Propheten, welchen ihrer zwei Nachbarn sie beschenken solle, worauf der Gesandte Allahs antwortete: „Den, der deiner Tür am nächsten ist.“ (Bukhari)
„Der Islam wird eine europäische Größe sein“, erwartet Peter Sloterdijk. Genau genommen ist diese unmittelbare Erfahrung mit dem Islam keine neue. In Bosnien und Andalusien kann Europa zweifellos auf eine lange Geschichte der Nachbarschaft mit Muslimen zurückblicken. Blauäugig, dass an sich gute Erfahrungen sich auch ins Negative wandeln können, muss man deswegen natürlich nicht sein. So haben die europäischen Muslime Bosniens natürlich auch erlebt, dass auch gute Nachbarschaft nicht unbedingt vor verheerenden Konflikten schützen muss.
In Zeiten von Internet und neuen schnellen Kommunikationswegen ergeben sich neue, virtuelle Nachbarschaftsverhältnisse. Eine Webseite in Dänemark wird von Muslimen aus dem Libanon besucht und anders herum. Gerade weil die Begegnung hier nicht existentieller, persönlicher Natur ist, ergeben sich neue Gefahren, die Möglichkeit falscher Vorstellungen und optischer Täuschungen. In der Vorstellung verdichten und beschleunigen sich dabei Konflikte, schaffen gar Bedrohungsszenarien, als fänden sie wirklich in unmittelbarer Umgebung, in der Nachbarschaft statt. Verstärkt werden solche künstlichen Konflikte durch globale Massenmedien, die bis in die heimischen Gefilde hinein wirken. Wir erleben dann auch bei uns eine spürbare, um nochmals Sloterdijk zu zitieren, „Panikbereitschaft im deutschen Feuilleton“.
Nachbarschaft spielt im Islam eine herausragende Rolle. Man kümmert sich zunächst persönlich um die nahen Nachbarn. Die Zakat, die von der islamischen Gemeinschaft vor Ort erhobene Abgabe, wird bevorzugt an notleidende Empfänger in der Umgebung herausgegeben. Jahrhundertelang war auch für Muslime eine jüdische oder christliche Siedlung in der Nachbarschaft nicht das geringste Problem. Das sollte sich erst mit einem Modernismus ändern, der nicht nur rassisch denkt, sondern überhaupt auch territoriale Raumbeherrschung anstrebt.
Raum, Staat, Rasse sind die entscheidenden Begrifflichkeiten der modernen Ideologien, die gute Nachbarschaft in die Dynamik des Freund-Feind Denkens hineinzwingt und im schlimmsten Falle in den Abgründen kriegerischer Konflikte dauerhaft auflöst. Über Jahrhunderte hatten diese politische Kategorisierung im islamischen Denken keine Rolle gespielt, war doch die Vernetzung als auch die Sicherung von Märkten und Handelswegen vorrangig.
Ein schönes Beispiel für das Wesen guter Nachbarschaft finde ich in der WELT. Wo es sonst ganz gerne um den angeblichen Kulturkampf geht, findet sich eine schöne Beschreibung der einfachen Wirkung guter Nachbarschaft mit Beteiligung von Muslimen. Hayri Dizerkonca, Chefredakteur von Milliyet, lebt seit 23 Jahren in Deutschland und bezog unlängst ein Reihenhaus. Sein Schlüsselerlebnis war dabei zwar einfach, aber eben doch ein Schlüssel: „Wir haben zum Einzug unsere Nachbarn eingeladen, einen Apotheker, einen Steuerberater, einen Arzt. Sie fielen aus allen Wolken. Sie lebten damals schon seit zwölf Jahren nebeneinander und waren noch nie auf so eine Idee gekommen.“. „Seither“ so der Journalist „trifft man sich öfter“. Gute Nachbarschaft eben.