„Was heute in der ‘Bild’-Zeitung steht, steht morgen überall. Vielleicht sollte man sich also mal genauer anschauen, was sie schreibt. Die kleinen Merkwürdigkeiten und das große Schlimme.“ www.bildblog.de
Medien sind zumeist subjektiv – machmal aber auch radikal subjektiv. Medien reden – manchmals ist es auch nur Gerede. Sogar seriöse Medien sollen zunehmend in ihrer Qualität zerfallen; so meint die Tochter von Spiegel-Gründer Augstein über den Spiegel: „Der Akzent auf Wirtschaftsthemen, die Vernachlässigung politischer Entwicklungen und Probleme zugunsten der Personalisierung, die Verlagerung auf die so genannten weichen Themen: All dies kennzeichnet heutzutage den Spiegel und hat das Magazin zu einem geschwätzigen Blatt unter anderen gemacht.“
Zu den Termini „Geschwätz“, „Gerede“ fügt der alte Spiegel-Freund Martin Heidegger noch den Begriff „Geschreibe“ hinzu. Die Mediengesellschaft produziert mit ihren Massenmedien nicht nur Gerede und Geschreibe, sondern definiert auch beiläufig und nebenbei was „man so denkt“ und auch „was man zu denken hat“. So schreibt Heidegger in Sein und Zeit über das „Geschreibe“:
„Das Nachreden gründet hier nicht so sehr in einem Hörensagen. Es speist sich aus dem Angelesenen. Das durchschnittliche Verständnis des Lesers wird nie entscheiden können. was ursprünglich geschöpft und errungen und was nachgeredet ist. Noch mehr, durchschnittliches Verständnis wird ein solches Unterscheiden gar nicht wollen, seiner nicht bedürfen, weil es ja alles versteht.
Die Bodenlosigkeit des Geredes versperrt ihm nicht den Eingang in die Öffentlichkeit sondern begünstigt ihn. Das Gerede ist die Möglichkeit alles zu verstehen ohne vorgängige Zueignung der Sache. Das Gerede behütet schon vor der Gefahr, bei einer solchen Zueignung zu scheitern. Das Gerede, das jeder aufraffen kann, entbindet nicht nur von der Aufgabe echten Verstehens, sondern bildet eine indifferente Verständlichkeit aus, der nichts mehr verschlossen ist.“
Es geht also in Stufen bergab, auch wenn der Spiegel natürlich noch recht weit weg ist von der BILD.
Eine interessante Seite zur Untermauerung dieser Erkenntnis ist die Seite www.bildblog.de. Heute geht es um Paparazziphotos: Wenn „Bild“ nichts über ihre Entstehung weiß, betextet sie sie einfach im Stil einer freien Improvisation. Für die BILD ist dabei Zeit Geld. Klar, da liegt es nahe, den Blick auf einen begleitenden Bildtext oder die Recherche der Hintergründe grundsätzlich für Zeitverschwendung zu halten. Dass Bilder täuschen können, macht weblog.de mit einem aktuellen Beispiel deutlich. Gestern erschienen eine Reihe von Fotos in Bild.de und der gedruckten „Bild“-Zeitung, über die die BILd-Redaktion offenbar gesichert nur folgendes wußte: Da ist irgendwann irgendwo im Iran irgendwas Schlimmes mit einem kleinen Jungen passiert.
Es sind grausame Fotos, die zeigen, wie der Arm des Kindes, auf einer Decke liegend, von einem Auto überfahren wird. „Bild“ schreibt: „Schreckliche Fotos aus Teheran zeigen die öffentliche Folter eines Jungen. Für ein Stück trockenes Brot muß er sich quälen lassen.
Die Berichte widersprechen sich, ob der Kleine es gestohlen hat, bestraft wird — oder gerade mit dieser bizarren Schau „verdienen“ muß.
bildblog.de kommentiert wie folgt:
Nun ja, wenn Journalismus mehr sein soll als Voyeurismus und die Erregung über schreckliche Fotos, wäre es schon schön zu wissen, ob es nun das Eine oder das Andere ist. Und wenn den Leuten von „Bild“ etwas an der Wahrheit gelegen hätte, hätten sie es sogar herausbekommen. Die „Berichte“ wonach der Junge bestraft wird, stammen nämlich aus höchst zweifelhaften Quellen: Aus amerikanischen und deutschsprachigen Blogs, die sich darauf spezialisiert haben, alles zu sammeln, was den Islam als gefährliche, zu bekämpfende Religion erscheinen lässt. Aus einem Blog namens Bareknucklepolitics scheint die Geschichte von der Bestrafung zu stammen: „8 Year Old Iranian Boy Caught Stealing Bread?“ heißt es dort im Forum. Andere Blogs übernahmen die Geschichte — und korrigierten sie später. Tatsächlich handelt es sich um eine Art grausames Zirkusstück auf der Straße: Ein Mann hat dem Jungen etwas Geld dafür gegeben und lässt sich für das Schauspiel von den Passanten bezahlen.
Das hätte „Bild“ auch aus dem Begleittext erfahren können, der auf der Seite steht, von der die Fotos stammen. In ihm wird erklärt, dass der Mann mit betrügerischen Methoden und den Schmerzen des Jungen versucht, Geld zu machen. Aber vermutlich war es der „Bild“-Zeitung mit ihren rund 1000 Mitarbeitern zuviel Mühe, den persischen Text übersetzen zu lassen. Sicher, die hätte man sich machen müssen, wenn man ernsthaft anprangern wollte, wie Kinder im Iran missbraucht werden. Und eigentlich hätte die Zeit für die Recherche locker gereicht, denn die Aufnahmen sind, was „Bild“ natürlich nicht erwähnt, über drei Wochen alt. Aber man muss es ja nicht übertreiben mit dem Journalismus, wenn man doch einfach nur ein paar krasse Fotos zeigen will.