Die Art und Weise, wie die Zakat genommen wird, ist aus Sicht der Muslime das eigentliche und wichtige interne Politikum des Islam. Dutzende Male ist die Zakat- und Gebetsverpflichtung gleichrangig im Qur’an erwähnt. Im Vergleich beispielsweise zur Kopftuchdebatte wird aber über diese Säule des Islam kaum ausreichend diskutiert. Natürlich ist dieses Instrument auch nach Außen ein wichtiges Symbol, nämlich für die im Islam innewohnende Solidarität zwischen Reich und Arm. Indirekt wird auch die Legitimität und Möglichkeit von individuellem Eigentum und Reichtum im Islam nach der Pflichtabgabe bestätigt.
Hin und wieder wird auch behauptet, die Zakatabgabe an Hilfsorganisationen und Vereine sei „effektiver und durchgreifender“. Daran kann man ernste Zweifel haben. Die Zakat ist zunächst einmal ein lokales Phänomen. Sie verfasst die Gemeinde – also diejenigen, die grundsätzlich Zakat zu zahlen haben – um eine Autorität. Die Gemeinde wird so zu einem lebendigen sozialen Gebilde. Diese Autorität gibt nun die Zakat nicht blind an eine zentrale Stelle ab, sondern beurteilt (und kennt) die Lage der Gläubigen oder anderer möglicher Zakatbegünstigster in und um diese Gemeinschaft. Auf diese Weise wird die lokale Community entscheidend gestärkt, sozial verwebt und in Eigenverantwortlichkeit aufgebaut. Die Gläubigen sehen dabei durchaus unmittelbar – und entscheiden insoweit basisdemokratisch mit – was mit ihrer Zakat geschieht. Die Abgabe an Hilfsorganisationen per Banküberweisung mag willkommene Sadaqa (freiwillige Spende) sein, der Sinn von Zakat wird so aber keinesfalls erfüllt.
Die Lähmung vieler muslimischer Gemeinschaften und die Organisation der Muslime „von Oben nach Unten“ statt „von Unten nach Oben“ hat das muslimische Leben vor Ort oft genug sinnentleert und geschwächt. Dies zeigt sich auch an zentral vorgegebenen Freitagsansprachen, die nicht mehr – wie über Jahrhunderte – detailliert die Lage vor Ort definieren, sondern den wechselmütigen politischen Interessen einer Zentrale folgen. Die Hauptaufgabe des Imams ist es, das Seelenheil der Muslime zu achten und den Islam – bis hin zu den Regeln der Zakatnahme – auch korrekt zu vermitteln. Wie soll aber ein Imam diese Lehre authentisch vermitteln, auf die Lage der Muslime unabhängig eingehen, wenn er finanziell völlig von Dritten abhängig ist?
Überhaupt sind viele Vereine, insoweit sie die Muslime immer noch nach nationalen Kriterien organisieren, im Grunde ein Relikt der Vergangenheit. Sie verwandeln als egozentrische Körper schnell den Islam in das Gewohnheitsrecht einer Kultur. Sie bereiten die Muslime, insbesondere unsere Jugend, schlecht auf eine gewandelte Wahrnehmung der europäischen Öffentlichkeit vor. Die Gemeinschaft soll sich nicht durch die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe, sondern durch die Akzeptanz der Zakatverpflichtung konstituieren. Die Logik ist einfach: Wer die Zakatverpflichtung anerkennt, gehört zu uns dazu. Wo dies korrekt gelehrt wird, sind die Muslime sicher aufgehoben.