„Benennen heißt bekanntlich sichtbar machen, schaffen, ins Leben rufen. Und Benennungen können unheilvolle Verwirrung stiften: Islam, islamisch, islamistisch – ist der Schleier nun islamisch oder islamistisch? Und wenn es sich einfach um ein Tuch handelte, mehr nicht? Manchmal habe ich Lust, jedes Wort der Sprecher in Frage zu stellen, so oft reden sie leichtfertig daher, ohne sich im mindesten über Problematik und Bedeutung ihrer Formulierungen im Klaren zu sein und über die Verantwortung, die sie übernehmen, wenn sie sich vor Tausenden von Zuschauern äußern, ohne zu verstehen, dass sie es nicht verstehen. Denn solche Wörter bringen etwas hervor, schaffen Phantasmen, Ängste, Phobien oder schlicht falsche Vorstellungen.“
(Pierre Bourdieu, Über das Fernsehen)
In der Theorie der Biopolitik gilt der der Körper als Schauplatz der Historie. Insofern haben wir einen markanten historischen Punkt erreicht: Man darf sich überall ohne Nachteile ausziehen, nicht jedoch verhüllen. Ja, ein wesentliches Element des New Deal ist die absolute sexuelle Freiheit, verbunden mit absolutem ökonomischem Zwang. Dabei wird der Konsum, vor allem das unmotivierte Reisen und Herumfahren, tatsächlich für immer mehr Leute – ganz unabhängig vom Glauben – immer unerschwinglicher. Moderne Sinnkrisen sind da inklusive. Vielen Otto-Normalverbrauchern bleibt insofern wirklich nur noch der „Körper“.
Immer ganze vorne beim Kampf gegen den Islamismus (und beim Verkaufen von Produkten an islamistische Regimes) ist Baden-Württemberg. Dort will man als erstes Bundesland Erzieherinnen in öffentlichen Kindergärten das Tragen von Kopftüchern im Dienst verbieten. Ein Gesetzentwurf sei noch in diesem Jahr zu erwarten. Beraten wird das Land vom Tübinger Rechtswissenschaftler Ferdinand Kirchhof, der auch für das bereits geltende Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen ein Rechtsgutachten anfertigte. Auslöser für die Diskussion ist die Kündigung einer muslimischen Kinderpflegerin durch die (stark durch den Islamismus gefährdete!) Stadt Ebersbach im Kreis Göppingen. Sie wollte bei ihrer Arbeit das Kopftuch nicht ablegen. Was für eine Provokation!
Bezüglich des Tuches ist ja aus muslimischer Sicht schon manches gesagt. Zum Beispiel, dass es zwischen Geburt und Tod weiß Gott wichtigeres gibt. Giorgio Agamben prägt den Begriff des Homo Sacer, also des modernen Menschen, der nichts mehr hat (keinen rechtlichen oder politischen Status) außer seinem Körper. Die Muslima mit Tuch, da sehe ich auf Dauer ein Problem, läuft in Deutschland ebenfalls Gefahr, eventuell nur noch ihren (verhüllten) Körper zu haben, aber keinen islamischen Kontext mehr. Unter staatlichem Druck flüchten ja immer mehr Muslime ins Private und ins Dickicht der Großstädte. Die Moscheegemeinde als eigentliche Verortung der Muslime verliert ihre mäßigende Wirkung.
In Drucksituationen werden Ersatzhandlungen und Symbole schnell überbewertet. Insofern sollte es uns Muslimen heute mehr um den Kontext, um Prioritäten als – isoliert betrachtet – um ein Tuch gehen. Ich denke an neue Initiativen: „Muslimas zahlen korrekt Zakat“ oder „Muslimas kämpfen gegen Prostitution“ oder Debatten über die ökonomische Realität von Frauen im Islam und anderswo. In diesen Fällen würde das Tuch in einen Kontext treten, einen Sinnzusammenhang entfalten, Interessen wecken, statt zu einer Ikone ohne Bedeutungszusammenhang zu werden. Oft – wenn ich das sagen darf – sagt das „Tuch“ alleine so wenig aus wie es ein „Bart“ alleine tut…ich finde, der gemeinsame Kontext und kreative Handlungsmöglichkeiten entscheiden. Die Debatte „nur“ um ein Tuch allein führt ins Nichts.