„Kein menschliches Rechnen und Machen kann von sich aus und durch sich allein eine Wende des gegenwärtigen Weltzustandes bringen; schon deshalb nicht, weil die menschliche Machenschaft von diesem Weltzustand geprägt und ihm verfallen ist. Wie soll sie dann je noch seiner Herr werden?“
Martin Heidegger, Briefwechsel mit Kästner
Die Debatte über das Verhältnis Demokratie und Kapitalismus scheint voll im Gange. Aus muslimischer Sicht besteht schon seit längerem Zweifel, dass der „Islamismus“ der eigentliche „geschichtliche“ Feind der Demokratie sei. Das heißt nicht, dass der Terrorismus als extremste politische Form in Deutschland nicht eine Gefahr darstellen könnte, nur hat dieser – wie überall in der Welt – bei Muslimen keine Chance und wohl kaum eine politische Vision. Der Staat, als sicherheitstechnisches High-Tech-Produkt, ist gegenüber dem Islamismus ja auch nicht gerade schlecht aufgestellt.
Die Fragen bleiben. Hat sich die Demokratie seit 1948 substanziell verändert? Ist die Demokratie auch wehrhaft gegen den Einfluss des globalen Kapitalismus? Diese Frage ist besonders relevant, sind doch die verfassungsrechtlichen Mechanismen der Demokratie, nach der geschichtlichen Erfahrung mit dem Totalitarismus, eher auf einen politischen Feind ausgerichtet. Und: Wie werden neue „Demokratien“ in China, im Irak oder Russland sich von alten demokratischen Idealvorstellungen unterscheiden? Genügt es für die Sicherung der eigenen demokratischen Substanz und Legitimität, sich gegen die Schreckensbilder der alten und neuen Ideologien zu definieren? Genügt die Gleichung: „Wir sind demokratisch, weil sie anti-demokratisch sind“?
Umberto Eco zeigt am Beispiel Italiens, wie sich Demokratien schleichend verändern können. Ein wesentlicher Gesichtspunkt ist dabei der moderne „Massenmedien-Populismus“. Umberto Eco prägt den Begriff des „TV-Regime“ und glaubt, dass TV-Mogul Berlusconi Italien eine neue Regierungsform beschert hat: die Telekratie. Politische Entscheidungen werden nicht im Parlament diskutiert, sondern in der Talkshow präsentiert. Alle Macht geht in Rom vom Fernsehen aus. Und Berlusconi ist – wie seine strategische Freundschaft mit Erdogan zeigt – nicht nur auf dem italienischen Markt zu Hause.
Wähler, Parteien und Parlament zweifeln zunehmend an der eigenen politischen Kraft gegenüber dem ökonomischen Titanismus. Wer sitzt am längeren Hebel? Wer sägt am eigenen Ast? Der SPD-Stratege Gerhard Eppler bringt die „Glaubenskrise“ im neuen SPIEGEL auf den Punkt:
„Demokratische Politiker sind sehr viel weniger mächtig, als ihre Wähler glauben. Im kleinen Kreis, etwa im Präsidium der Partei, habe ich zwei Kanzler über ihre Ohnmacht klagen hören. Deren politischer Handlungsspielraum war noch ungleich größer als der von Gerhard Schröder. Nationale Konjunkturpolitik war noch möglich, Keynes funktionierte noch, wenn auch mit abnehmender Wirkung. Heute sind nationale Regierungen erpressbar geworden. Das global agierende Kapital kann Bedingungen stellen. Es kann die Nationalstaaten gegeneinander ausspielen. Aber welcher Politiker gibt schon gern zu, dass er am kürzeren Hebel sitzt? Oppositionspolitiker machen die Menschen glauben, alles Übel komme nur von den Regierenden – bis sie es selbst sind, die lernen müssen, den kürzeren Hebel zu bedienen. Wie lange die Demokratie dies aushält?“