Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Sicherheit oder ein „Wutanfall“ eines anatolischen Hanseaten

„Der Machthaber sagt hier nicht mehr: Du denkst wie ich oder du stirbst, er sagt: Du hast die Freiheit nicht zu denken wie ich, Leben, Vermögen und alles bleibt dir erhalten; aber von dem Tage an bist du ein Fremder unter uns.“ (Alexis de Tocqueville: Über die Demokratie in Amerika)

Immer wieder beklagen sich türkische Muslime über die einseitige Sicherheitspolitik der Behörden, neues Beispiel ist ein Report des Hamburger Verfassungsschutz. Die Verfassungsschutzämter in Deutschland sind mit der türkischen Gemeinschaft Milli Görüs immer besonders kritisch, während man – zum Beispiel – nach dem sicherheitspolitisch heiklen Stichwort „Saudi-Arabien“ und „Wahhabismus“ in den Berichten vergeblich sucht (warum wohl?). Diese politische Denkweise ist in sich ein Sicherheitsproblem. Bei aktuellen Polizeiaktionen gegen einschlägige Zentren wird dieser Aspekt ebenfalls bewußt öffentlich ausgespart(auf wessen Veranlassung?) Eine Broschüre über die tiefe Verflechtung der deutschen Wirtschaft mit dem „islamistischen“ Königreich oder dem daraus resultierenden Lobbyismus und Einfluß auf den Sicherheitsapparat sucht man natürlich auch vergeblich. Man kann natürlich kritisch sein mit der IGMG, nur mit „Terrorismus“ – wie jeder weiß – haben die türkischen Gemeinden der IGMG absolut nichts zu tun.

Hier ein Rundbrief eines Hamburger Muslims, Mustafa Yoldas von der Schura zum Thema:

Liebe Geschwister und Freunde,

Nach diesem persönlichen Rundbrief werden einige jetzt wünschen, aus meinem Verteiler genommen zu werden. Das Risiko gehe ich ein.

Spät in der Nacht, als im TV im Hintergrund die Wiederholung der Oliver Geissen Show läuft und ich genervt von medizinischer Literatur zur Facharztprüfung etwas Ablenkung haben will, lese ich meine Mails und bekomme etwas Interessantes von einem Freund zugeschickt:

31.01.05

NEU: Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg: Broschüre „Türken und Deutsche in Hamburg: Gemeinsam für die Demokratie!“ Pressemitteilung / Links zur deutschen und türkischen Fassung: http://fhh.hamburg.de/stadt/Aktuell/pressemeldungen/2005/januar/31/2005-01-3 1-bfi-broschuere.html http://fhh.hamburg.de/stadt/Aktuell/behoerden/inneres/landesamt-fuer-verfass ungsschutz/start.html

Seht mal, was die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, die auch von unseren Steuergeldern leben und ohne uns Muslime größtenteils wohl auch keine Existenzberechtigung mehr hätten und wiederum mit unseren Steuergeldern teure farbige Broschüren drucken.

Da sich die Politik ja nicht um ernsthafte Integration der Muslime bemüht und die Sicherheitsbehörden die Definitionshoheit darüber haben, mit wem Politiker reden dürfen und mit wem nicht, wundert uns in diesem Lande nichts mehr.

Es ist bemerkenswert, dass in dieser Broschüre der IGMG mehr Platz eingeräumt wird als der Terrororganisation PKK, die mehr als 30.000 Menschen auf dem Gewissen hat. Es ist der IGMG in ihrer 30jährigen Existenz in Deutschland nicht nachzuweisen, dass sie deutsche Polizisten geschlagen hätte, Schaufenster mit Molotow-Coctails beworfen hätte oder in irgend eine Gewalttat involviert gewesen wäre. Trotzdem wird sie als eine historisch gewachsene gesellschaftliche Realität in diesem Lande absichtlich, mutwillig, politisch forciert in der Öffentlichkeit diskreditiert.

Gab es irgendwelche Broschüren des Verfassungsschutzes in Hamburger Behörden oder Schulen, in denen vor der NPD o.ä. gewarnt worden wäre? Ist es mir entgangen? Nein, anscheinend gibt es da keinen Handlungsbedarf. Wer macht eigentlich eine Gesinnungsprüfung bei den Mitarbeitern der Verfassungsschutzämter?

Angesichts der Relaität, wonach die deutsche und türkische Bevölkerung die IGMG-Anhänger im täglichen Leben gänzlich anders erlebt und kennt, wird diese Broschüre mehr Sympathisanten in unsere Reihen treiben, die Anhänger noch einmal wachrütteln und die Glaubwürdigkeit staatlicher Institutionen weiter in Frage stellen.

Es ist ein Eigentor, das sich die Innenbehörde selbst geschossen hat. Apropos Eigentor: nicht nur beim Fußball herrscht zunehmende Korruption, Bestechung, Vetternwirtschaft, Schwarzgeld, u.v.m. Es ist symptomatisch für dieses Land geworden, und das habe ich in den letzen 25 Jahren meiner Existenz in diesem Lande erlebt, dass es zunehmend Züge einer „Bananen-Republik“ annimmt. Dabei habe ich Deutschland als ein Land mit hohen Tugenden wie Fleiß, Ehrlichkeit im Alltag, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit erlebt, das uns Muslimen in unseren Herkunftsländern all zu oft verwehrt wurde. Und ich habe diese Freiheit nie dahingehend ausgenutzt, um diese Werte auszuöhlen. Wie sollte ich auch den Ast absägen, auf dem ich sitze?

Nun ja, ich denke schon hin und wieder über meine Zukunft und die meiner Familie in diesem Lande nach und kann nicht mehr mit voller Inbrunst sagen „ich bin ein anatolischer Hanseate“. Manchmal denke ich, dass es Zeit ist, das Zelt einzupacken. Nur wohin?

Noch will ich dem Verfassungsschutz diesen Gefallen nicht tun und auswandern. Vielleicht ist es ja das, was sie sich mit solchen Broschüren insgeheim erhoffen. (Ich muss sagen, irgendwo macht es mir ja auch Spaß, mit diesem Chaotenhaufen zu polemisieren. Schließlich bin ich eben deshalb im Hamburger VS-Bericht von 2002 namentlich gerühmt worden.)

Ich glaube, wir kriegen die Kurve des vertrauensvollen Zusammenlebens in diesem Lande noch und ich möchte gerne daran teilhaben. Nur man kann wirklich nicht alle über einen Kamm schären. Ich würde mich schämen, in die selbe Kategorie eingeordnet zu werden wie die PKK o.ä.

Da ist eine trübe braune Brühe herausgekommen, aller Wahrscheinlichkeit nach mit Zutaten von Hard-Core-Kemalisten, die in der Türkei Stalinisten sind aber in Deutschland „Sozialdemokraten“ sein wollen; die in der Türkei auffordern „Generäle, wir rufen euch zur Pflicht!“, als muslimische Studentinnen mit Kopftuch vor den Universitäten demonstrieren, aus denen sie mit Polizeigewalt rausgeschmissen worden sind in Deutschland „Demokraten“ sein wollen.

Diese „Demokraten“ sitzen im Bundestag, im „Integartionsbeirat“, beim DGB, an der Uni, in manchen Redaktionen. Sie schaffen es, die deutschen Politiker und Öffentlichkeit zu überzeugen: „Seht her: wir trinken Raki, unsere Frauen tragen keine Kopftücher und die Bratwurst bei der Grillparty sieht Allah im Dunkeln auch nicht. Also wir sind die wahren integrierten Türken. Die Milli-Görüs-Anhänger sind die wahre Gefahr für Deutschland. In der Türkei wurde ihre Partei mehrmals verboten.“ Und schon ist man sich einig. Was für eine „unheilige Allianz“?. (Die Engländer sagen: „What soberness conceals, drunkenness reveals.“ (Will sagen: „Was die Nüchternheit verbirgt, offenbart die Besoffenheit!“ Auf der Raki-Ebene hat man sich schnell gefunden. (Als ob es bis vor Kurzem in der Türkei für eine Partei eine Kunst war, nicht verboten zu werden und mal ehrlich: seit wann werden denn die türkischen Maßstäbe hierzulande für Rechtsstaatlichkeit angewandt?) Oder ist es nicht ein Politiker der Milli-Görüs-Bewegung wie Tayyip Erdogan, der das 50 Jahre währende Geschwafel der Europäisierung und des Fortschritts der Kemalisten über Bord geworfen hat und wahre demokratische Refornen durchgeführt hat, und zwar innerhalb von 2 Jahren? Wie erklären sich die Raki-Brüder dieses Phänomen?

Mal sehen, wie lange es dauert, bis die deutsche Politik erkennt, mit welcher Schlange sie ins Bett gegangen ist und irgend wann erkennt, wer die wahrhaftigen Dialog- und Integartionspartner sind. Schade um die vergeudete Zeit und die Ressourcen.

Zumindest haben die alten Türken gesagt: „Wer mit einem Schielenden ins Bett geht, wacht als Blinder auf!“ In diesem Sinne… paßt auf Euch auf!

Euer / Ihr Mustafa Yoldas

(Ja, ich weiß Mama, es ist so spät geworden. Ich sollte jetzt meine Milch trinken und schlafen gehen. Gute Nacht!)