Die Einheit der Muslime ist ein großes Wort und wird in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen bemüht. Es hat auch eine nicht ganz zu unterschätzende Umkehrwirkung – wer die Einheit “politisch” postuliert, wird versuchen, jeden der sich gegen diese politische Machenschaft stellt, als “Gegner der Einheit” ins Abseits zu stellen. “Wer nicht für uns ist, ist gegen uns” heißt es recht schnell in dieser Art des politischen Denkens. Wer ist schon gerne “gegen” die Einheit? Die Frage muss aber erlaubt sein, was hat es mit der zentralen Einheit der Muslime wirklich auf sich? Bewegen wir Muslime uns auf diese Einheit zu, oder eher weg?
Vielleicht ist es leichter, zunächst einmal Konsens zu stiften, leider in einer notwendigen, eher negativen Einsicht: Es gibt diese vielbesungene Einheit heute nicht. Machen wir uns nichts vor. Auch die neuen Koordinierungsbemühungen beruhen gerade auf der Festschreibung der Nicht-Einheit. Alle Verbände, die meisten politische Kinder der 70er Jahre, sollen nicht nur fortbestehen, sondern sich gerade nicht vereinheitlichen und bestehen im Übrigen völlig unhinterfragt weiter.
Mit Sehnsucht erwarten viele Muslime, dass die ethnischen Trennlinien endlich auch organisatorisch aufgehoben werden, dass man die Zakat in einer Stadt korrekt einzieht oder nicht in einer einzigen Straße an unterschiedichen Tagen fastet. Was wir heute sehen ist der Versuch, auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner irgendwie zusammenzukommen. Selbstredend geht es auf dieser Flugebene eher um Themen wie Schwimmunterrricht, denn ginge es um wesentliche islamische Bezugspunkte oder Aussagen, wäre die Einheit wohl schnell wieder dahin.
Betrachtet man die Realität islamischer Gemeinschaften, wenn sie denn Gemeinschaft ist oder war, dann fällt auf, dass diese lokalen Gemeinschaften sich um Moschee, Stiftung und Markt gebildet haben. Diese Bezugspunkte des alltäglichen islamischen Lebens haben mit der Mitgliedschaft in einer Organisation wenig zu tun. Zu entscheiden, wer Vorbeter einer Gemeinde ist, gehört zu den basisdemokratischen Rechten der Muslime vor Ort.
Für eine echte Repräsentanz braucht es Gelehrte, VertreterInnen der islamischen Zivilgesellschaft und Geschäftsleute. Die politische Repräsentanz dagegen ist vor allem für die Erhebung der Zakat notwendig. Die Erhebung und Verwendung der Zakat – zum Wohle der muslimischen Allgemeinheit, eine der wichtigsten Säulen des Islam – ist allerdings heute bei muslimischen Vertretern – eigentlich merkwürdigerweise – überhaupt kein Thema mehr.
Dominanz über uns Muslime ist für eine zentrale politische Vertretung und deren politische Absichten nicht vorgesehen. Es gibt noch andere, nicht-verbandspolitische Aspekte des islamischen Zusammenlebens. Es fällt auf, dass alle modernen politischen Organisationen sich vom Stiftungswesen fern halten. Nur mit den Stiftungen ist eine Entwicklung einer freien muslimischen Gemeinschaft möglich. Die Distanz des modern-organisierten Islam zu den Stiftungen ist nicht zufällig. Das islamische Recht entzieht die Stiftung, oft übrigens eine Domäne muslimischer Frauen, der Kontrolle der Politik.
Es wurde viel diskutiert, ob die Islamkonferenz in ihrer aktuellen Zusammensetzung die Muslime in Deutschland repräsentieren kann. Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es auch um einen konstruierten Gegensatz ging, den das Innenministerium dann freundlicherweise für die Muslime auflöst. Aber auch die islamischen Verbände haben, was die Zusammenstellung der Konferenz angeht, in erster Linie nur an sich selbst gedacht. Wie auch immer, die Intention der Veranstaltung läuft auf die Etablierung eines guten, politischen Islam hinaus. Dieser muss sich in Zukunft, beinahe alltäglich, als politisch korrekt beweisen.
Das Problem jeder Politik, die natürliche Gefahr der sie unterliegt, vor allem wenn sie sogar die Religion quasi übernehmen will, ist die Nähe zum Zeitgeist. Politik kann heute liberal sein, morgen extrem und übermorgen andersherum. Die islamische Lehre, beim Islamrat beispielsweise durch das signifikante Verschwinden des Schaikh Al-Islam symbolisiert, ist nicht zufällig in der Versenkung verschwunden. Eine authentische Lehre ist aber notwendig für Kontinuität, die auf der Offenbarung, dem Unterschied von erlaubt und nicht erlaubt beruht. Die Lehre begründet, warum Terrorismus ein Tabu, Selbstmordattentate verboten oder der Nationalismus eine nicht-islamische Lebensform ist. Politischer Ideologie ist die Lehre daher suspekt.