„Mit großer Folgerichtigkeit hat die Mitte, das formloseste der Monstren, das Gesetz der Stunde erkannt und sich zur Hauptdarstellerin, ja zur Alleinunterhalterin auf der posthistorischen Bühne erklärt. Was sie berührt wird sofort wie sie – gutmütig, charakterlos, despotisch. Die Agenten der extremistischen Ungeduld von einst sind arbeitslos geworden, sie bekommen vom Zeitgeist keine Rollen angeboten.“ (P. Sloterdijk, Sein und Zorn)
Vorhang zu nach einigen aufregenden Tagen. Nach dem Spektakel um Opernabsetzung, Islamkonferenz und Gewaltdebatte versteht man besser, warum auch die Politik gelegentlich mit Theater und Politiker mit Schauspieler verglichen werden. Die Funktion des Spektakels ist dabei immer auch Ablenkung. Vor allem zornige, konservative Politiker, oder solche die es erst noch werden müssen, verfallen der Versuchung, sich immer wieder gegen den Islam zu profilieren. Die konservativen Politiker, heute vor allem – wie Sloterdik sagt – „Agenten des Verbraucherschutzes“, lenken dabei von ihrer eigenen Identitätskrise ab. Wie soll man überhaupt noch „konservativ“ definieren ohne den Islam? Nach dem nicht gerade viele politische Entscheidungen der konservativen Parteien der letzten Jahre von den Lehren des „Christentum“ geprägt waren, besinnt man sich nun neuerdings wieder stärker auf den Standortvorteil „Nähe zur Kirche“.
Das Spektakel hilft nebenbei, die eigentlich anstehende, sehr reale Gewaltdebatte bezüglich des israelischen Notwehrexzesses im Libanonkrieg zu vermeiden und die Debatte um die Rolle der Gewalt auf die Ebene der Berliner Oper zu verlegen. Dort, am Rande der Bühne, können die besorgten BürgerInnen ihre zugedachte politische Rolle spielen: „Klatschen“ oder „Buh-Rufen“. Die schleichende Erosion der Bürgerrechte und die eingeschränkte Souveränität der Nationalstaaten, das eigentliche geschichtliche Thema dieser Zeit und auf der globalen Bühne angesiedelt, wird in Deutschland weiter nur am Rande debattiert.
Wie immer ist die Debatte um die moderne Gewalt und die Gefahren für die Demokratie streng auf das politische Feld bezogen. Parallel zum politischen Spektakel im Innern, werden außenpolitisch neue großflächige Freund-Feind Strategien angedacht. Die wehrhafte und autoritäre Demokratie, der Kampf gegen den Terrorismus, gehört in dieser Denkschule zum Warmlaufen für neue, ökonomisch motivierte Auseinandersetzungen. An vorderster Front im Aufmarsch der Worte ist der Leiter des Hauptstadtbüros des einflussreichen Wochenmagazins „Der SPIEGEL, Gabor Steingart, den nicht nur Roger Willmesen für die vielbesungene, neoliberale Wendung in der Spiegel-Redaktion mitverantwortlich macht.
Steingart qualifiziert in seinem neuesten Buch, mit dem bezeichneten Titel „Weltkrieg um Wohlstand“ (Untertitel: Wie Macht und Reichtum neu verteilt werden) unsere östlichen Nachbarn als „Asiatische 'Angreiferstaaten', die Kinderarbeit tolerieren, Frauen und Ökosysteme plündern und dabei den Wohlstand des Westens mit einer Dumping-Offensive rauben, gegen die wir nicht mehr konkurrieren können. „Europa“ und die USA, besser die Eliten der beiden Länder, sollten sich nach Auffassung von Steingart zu einer westlichen Freihandelsfestung formieren – groß und stark genug, den Konkurrenten ihre Standards aufzuzwingen. Ergänzend wäre anzumerken, dass diese Festung nach Süden bereits schon aus einem gewaltigen Limes besteht und damit aus einem weiteren „Standard“, der die zudringlich werdenden Armen militärisch auf Distanz hält.
Nur logisch, dass diese Theorie über kurz oder lang auch die Verschmelzung des Dollars und des Euro andenken muss. Dem Bündnispartner in der angedachten Wirtschafts-NATO droht mittel- bis langfristig, seine Währung zu entgleiten. Dieses Szenario hat bereits heute weltpolitische Ausmaße. Vor einigen Tagen hieß es dazu auf SPIEGEL-Online recht nüchtern: „Die Abhängigkeit ausländischer Notenbanken vom Dollar wird dessen Sturz verzögern, aber nicht verhindern. Eine Schneewehe hat sich gebildet, die zur Lawine werden wird. Sie wächst in atemberaubendem Tempo. Sie kann sich morgen lösen, in ein paar Monaten oder auch erst in Jahren. Vieles, von dem die Zeitgenossen glauben, es sei unsterblich, wird eine globale Währungskrise unter sich begraben; womöglich auch die Führungsrolle der USA.“
Der westlichen Wagenburg stehe zunächst jedenfalls, so Steingart, ein geopolitischer Großkonflikt mit den aufstrebenden Wirtschaftsnationen Asiens, vor allem mit China, bevor. Neuer Arbeitstitel: Der „Weltkrieg um Wohlstand“.