Agambens Theorie vom Lager als integriertem Bestandteil der Moderne kann natürlich nicht nur auf die „politisch motivierten“ Lager reduziert werden. Das Lager kann phänomenal in verschiedenen Strukturen auftreten, dem Prinzip nach also überall und jederzeit. Man kann nur ahnen, wie es heute in den gesellschaftlichen Institutionen, wie Gefängnisse, Asylantenheime oder Altersheime beispielsweise in den osteuropäischen Ländern zugeht. Ein Heim mit mittellosen Alten kann jederzeit zum Lager mutieren. Es wundert auch nicht, dass Deutschland, immerhin eines der reichsten Länder der Welt, schon längst kein soziales Paradies mehr ist.
Der Fortschritt hat zwar Sprünge in der Medizintechnik ermöglicht, gleichzeitig fehlt es uns schmerzhaft an einem generationsübergreifenden sozialen Modell. In der Pflege älterer Menschen gibt es nach Darstellung des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIM) bei uns erhebliche Mängel. In zahlreichen Fällen werde gegen die elementarsten Menschenrechte verstoßen. Nach einer Studie, die das DIM am Mittwoch in Berlin vorgestellt hat, wurden im Jahr 2003 schätzungsweise 384 000 Pflegebedürftige nicht ausreichend ernährt, etwa 440 000 Pflegebedürftige nicht genügend vor Wundliegen geschützt. Rund 212 500 inkontinente Pflegebedürftige wurden nicht angemessen versorgt.
Ein würdiges Leben in einem Altersheim ist heute bereits in erster Linie eine Geldfrage. Die Studie Soziale Menschenrechte älterer Personen in der Pflege untersuchte das Recht auf Pflege und das Recht auf angemessene Unterkunft bei Pflegebedürftigen über 60 Jahre. Der Autor der DIM-Studie, Valentin Aichele, wies darauf hin, dass der Bericht des MDS die Pflegewirklichkeit in Deutschland nur in Ausschnitten abbilde. «Die Mängel betreffen so viele Personen und so wesentliche Bereiche der Pflege, dass man davon ausgehen muss, dass sie strukturbedingt sind», sagte Aichele. Leben in der intakten sozialen Gemeinschaft wird dagegen zum Luxusgut.
