„Die Sicherheitsgründe, die zu ihrer Rechtfertigung angeführt werden, dürfen uns nicht verwirren. Die Erfahrung lehrt, dass Praktiken, die anfangs nur den Ausländern galten, allmählich auf alle übertragen wurden. Die Frage, um die es geht, ist das neue „normale“ biopolitische Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Es geht nicht mehr um die freie und aktive Teilhabe an der politischen Ebene, sondern um die Aufnahme und Erfassung des privatesten und unmittelbaren Elements: das biologische Leben der Körper. Medieneinrichtungen, die die öffentliche Rede kontrollieren und manipulieren, entsprechen den technologischen Einrichtungen, die das nackte Leben identifizieren und erfassen.“ (Giorgio Agamben, Körper ohne Worte in der Süddeutschen Zeitung)
Geheimdienste haben in Deutschland schon aus historischen Gründen keinen besonders guten Klang. Die Debatte um Journalisten im Geheimdienst offenbart, dass nicht erst der Kampf gegen Terror im Ausland die rechtsstaatlichen Werte im Inneren bedroht. Wie Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am Montag mitteilte, hat das Bundeskanzleramt jetzt dem BND mit sofortiger Wirkung verboten, Journalisten zu benutzen, um Informanten in den eigenen Reihen auszumachen. Die Affäre belege nun, so einige Kritiker, dass sich der Dienst demokratisch nicht kontrollieren lässt. Geheim bleibt eben geheim. Die Geheimdienstler haben in Pullach – so meint zumindest Harald Neuber heute in einem Beitrag in Telepolis – bei München einen „Staat im Staat“ errichtet, dessen Grenzen scheinbar unantastbar sind.
Wie es in einem Rechtsstaat im Innern aussieht, wird man vermutlich am besten erfahren, wenn man ein Asylantenlager, ein Altenheim mit sozial Schwachen oder nachts eine Polizeistation in einem Ghetto besucht. Natürlich werden auch Minderheiten, denen die Öffentlichkeit kritisch gegenübersteht, oder keine starke Lobby haben, auch etwas aus ihrem Erfahrungsschatz beizutragen haben. Wir Muslime stehen den Tätigkeiten der Dienste mit gemischten Gefühlen gegenüber. Der unbestimmte Oberbegriff Islamismus, der in der Debatte auf orthodox Gläubige, biedere Funktionäre und Massenmörder angewandt werden kann, öffnet hier weite Tore und ist Grund für manche Befürchtungen. Natürlich wird man muslimischen Terroristen und Gewalttäter auch mit verdeckten Observationen nachstellen müssen. Auch ein staatlich verfasster Verfassungsschutzbericht ist normalerweise einem Mindestmaß an Objektivität verpflichtet und den Betroffenen, den die soziale Verbannung droht, steht immerhin ein Mindestmaß an Rechtsschutz offen.
Sorge bereitet allerdings die Grauzone zwischen Teilen des islam-kritischen Journalismus und verschiedenen Diensten. Muslime haben sich immer wieder zur Pressefreiheit bekannt. Niemand wird beispielsweise dem islam-kritischen, oft auch schmerzhaften Journalismus der taz unterstellen wollen, hier ginge es um dunkle Machenschaften irgendwelcher Dienste. Das ist natürlich absolut legitimer Journalismus! Neue Möglichkeiten der Kaltstellung des politisch Andersdenkenden bietet heute vor allem das Internet. Fragwürdig sind „Prangerwebsites“ mit journalistischen Beiträgen, die nicht nur radikal subjektiv sind, sondern auch eher wie Anklageschriften klingen. Wenn dann auch noch die Seite mit Geheimdienstkreisen verlinkt ist, ganz ohne Werbung und Finanzierung auskommt, dann ist die Frage legitim, ob hier veröffentlichende Journalisten eben auch eine Art Dienstverhältnis zu Diensten haben. Dann ist es schlicht fair, wenn diese Journalisten dann auch hierzu ehrlich Stellung nehmen müssen. Wenn nicht, dann haben wir in Deutschland bald nicht nur Grauzonen, sondern auch eine neue Form der Überwachung: den privatisierten Verfassungsschutz. Die Google-Akte könnte dann eines Tages zu einem wichtigeren und bequemeren Agitationsmittel gegen Andersdenkende werden, als es die Stasi-Akte war.