Oft genug müssen wir Muslime in Deutschland die Verantwortung für Einzelfälle oder Handlungen von Einzelgängern übernehmen. Es ist keine Frage, dass wir Muslime bevorzugt in Gemeinschaft leben. Der einzelne Muslim kann nicht – sozusagen als Qadi, Schaikh und Amir, alles in einer Person, den Islam für die Muslime definieren. Gerade die Extremfälle der letzten Zeit zeigen auch fast immer, dass hier EinzelgängerInnen, losgelöst von einem islamischen Kontext, agieren. Das Problem ist heute, dass die meisten Gemeinschaften allerdings nicht allzu viel Orientierung geben. Kopftuch, Religionsunterricht – und sonst?
Wir europäische Muslime sollten unsere sozialen, ökonomischen und kulturellen Aktivitäten besser koordinieren. Unter den europäischen Muslimen verstehe ich alle, europäische Sprachen sprechenden Muslime. Unser Zuhause ist dabei eindeutig Europa. Das geschichtliche Erbe des Balkans und Andalusiens zeigt ja die unbestreitbare geschichtliche Integration des Islam in Europa – das Beispiel Goethes und vieler anderer Denker zeigt die tiefe Inspiration des Islam für das europäische Denken.
Islam ist keine Sache von Einzelgängern. Im islamischen Recht, in der Konsensfindung und in der islamischen Bildung sehen wir europäischen Muslime eine Gewähr für das friedliche und berechenbare Zusammenleben der Muslime mit den europäischen Mehrheitsgesellschaften. Der – rechtlose – Terrorismus ist zweifellos der gemeinsame Feind der europäischen Muslime und aller Europäer. Mit anderen Worten, ohne die Orientierung der Rechtsschulen und der anerkannten Denkregeln wird der Islam zunehmend willkürlich und letztlich unberechenbar.
Ich bevorzuge zweifellos die lokale Unabhängigkeit der muslimischen Gemeinschaften in Europa. Die zentralistische Verwaltung der Muslime ist im Grunde antiquiert und hat das Leben vor Ort gelähmt. Islamische Gemeinschaften werden auf Grundlage von Salat, dem gemeinsamen Gebet, und Zakat, der verpflichtenden Abgabe, gebildet. Die Zakat soll durch lokale Autoritäten erhoben und nach koranischer Vorgabe bevorzugt lokal verteilt werden.
Islam ist einfach. Mann kann nicht „radikal“ oder „liberal“ beten und praktizieren. Es gibt Prioritäten im Islam. Die Zakat ist beispielsweise wichtiger als Kleiderfragen und Äußerlichkeiten. Mich interessiert bei einer Muslima mehr, ob sie die Zakat korrekt zahlt und weniger, wie sie das Kopftuch trägt. Ohne Prioritäten verarmt das islamische Leben und es gibt bestenfalls noch die einsamen und trostlosen Taten der Provokation.
Jede Gemeinschaft hat das Recht, ihren Imam selbst zu bestimmen. Nationale Ausrichtung oder Herkunft sollte für die islamischen Gemeinschaften europäischer Muslime weder ein Kriterium noch sonst irgendwie maßgeblich sein. Ansonsten wird die Verteidigung der nationalen Subkultur und Mischkultur wichtiger als die Verteidigung des Islam. Natürlicherweise ist die aktive Rolle der muslimischen Frauen – bis hin zu eigenen Stiftungen – in unseren Gemeinschaften ein Segen.
Wichtig ist auch, einige Ziele der Muslime nennen zu können. Ich sehe beispielsweise in den Stiftungen und in den Moscheeanlagen einen wichtigen Beitrag der Muslime. Für eine friedliche und offene Entwicklung der muslimischen Stadtviertel in den europäischen Städten und im Interesse aller BürgerInnen ist aus meiner Sicht die Kombination zwischen Moschee, Stiftungen und Markt wichtig. Die Muslime könnten hier lokale Konzepte entwickeln und den Kommunen vorstellen. Der Islam ist eine Einladung an alle, und Muslime denken positiv.