Ein alter Freund, der in den 1970er Jahren Muslim wurde, erzählte mir einst die folgende Geschichte. Er habe in Marokko seinen Lehrer gefragt, ob er heiraten solle. Der weise Mann reagierte zunächst amüsiert über die Frage und fragte nach, wie es zu irgendeinem Zweifel in dieser Sache kommen könne. „Nun“, erklärte mein Freund, „die jungen Leute in meiner Heimat meinen, dass die Ehe das Grab der Liebe sei.“ Der Gelehrte reagierte konsterniert über diese Antwort und hakte nach: „Aber wisst ihr nicht in Europa wie man eine Ehe glücklich hält?“ – „Nein!“ – Da lachte Shaykh Muhammad ibn Al-Habib und antwortete: „Viele, viele Gäste!“
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Die Antwort des Gelehrten verweist nicht nur auf die elementare Bedeutung der Ehe an sich, sondern auch auf die Notwendigkeit von Gemeinschaft im Islam. Diese Einsicht korrespondiert mit meiner Erfahrung, dass sich eine Ehekrise in meinem Umfeld meist darin ankündigte, dass man keine Einladungen mehr erhielt. Natürlich erzählen auch viele Quellen der islamischen Überlieferung über die Weisheit und Regeln einer guten Ehe. Aber, seien wir ehrlich, längst sind Scheidungen und Trennungen auch in der islamischen Welt zur Normalität geworden.
Das Problem zeigt sich heute in seiner ganzen Dimension nicht nur durch das Studium des islamischen Kanon, sondern auch in der Lektüre der modernen Literatur. Dies mag damit zusammenhängen, dass unsere Lebensformen sich global annähern und wir um das Phänomen ganz zu verstehen, heute beide Seiten der Medaille betrachten müssen. Um die psychologische Lage von Mann und Frau, in einem veränderten Umfeld, genau zu verstehen, lohnt sich die Lektüre der Klassiker.
Bereits im 19. Jahrhundert wurden in Europa die alten Konventionen hinterfragt. In seinen Wahlverwandtschaften reflektiert Goethe über die ehrwürdige Einrichtung der Ehe. Unter dem Eindruck arrangierter, oft unglücklicher Ehen in seiner Zeit schrieb er einen Roman, der die chemischen Reaktionen von Menschen untereinander untersucht. Er entdeckt dabei das Phänomen einer Liebe, die mit den sozialen Regeln der Zeit radikal bricht. Goethe sieht gleichzeitig die potentiell destruktive Rolle des Ehebruchs und bleibt in seinem Urteil ambivalent.
Ein anderer Klassiker über das Thema der Ehe ist Gustave Flauberts Madame Bovary, ein Buch, das, wie er sagt, über die Sitten in der Provinz handelt. Im Mittelpunkt des Werkes steht das tragische Schicksal einer Frau, die, enttäuscht von einer unglücklichen Ehe, sich in die Welt der Illusionen flüchtet.
Flaubert schildert im ersten Teil des Buches die Seelenlandschaft der beiden Eheleute Emma und Charles. Aus einfachen Verhältnissen stammend und den Konventionen der französischen Provinz folgend, heiratet der verwitwete Doktor Charles die schöne Tochter eines Bauern. Es ist eine Vernunftehe. Emma hätte gerne „um Mitternacht geheiratet, im Fackelschein“, aber die Zeremonie folgt den üblichen Riten.
Emmas Glaube an die Liebe wird durch den Alltag der Beziehung, der Unmöglichkeit einer tieferen Begegnung zwischen den beiden, desillusioniert. Die Tragödie entfaltet sich auf der Grundlage einer inneren Nicht-Begegnung. „Doch während im gemeinsamen Leben die Vertrautheit enger wurde, kam es zu einer inneren Loslösung, die sie von ihm trennte“, erklärt Flaubert die Lage der Ehefrau. Die Erfahrung der Leere, die Langeweile, wird Emma durch das Begehren nach „Seligkeit, Leidenschaft und Rausch“ verdrängen.
Flaubert entfaltet den komplexen psychologischen Hintergrund der Protagonisten: Er schildert eindrücklich den Einfluss der Eltern in ihrer jeweiligen Persönlichkeitsbildung und beschreibt die Prägung der Eheleute durch ihren Bildungsweg. Während Charles ohne große Begeisterung eine wissenschaftliche Ausbildung zum Mediziner durchläuft, wird die junge Emma durch einen Aufenthalt in einem Kloster geprägt. Ihre Sehnsucht nach Gott, ihr Drang nach großen Erfahrungen, ihr Bedürfnis nach Emotionen, ihr Freiheitswille, wird durch den strengen Ritus langsam erstickt.
Doch während im gemeinsamen Leben die Vertrautheit enger wurde, kam es zu einer inneren Loslösung, die sie von ihm trennte.
Gustave Flaubert
In der Ehe entwickelt sich das Drama langsam. Zunächst versucht Emma ihren Widerwillen gegen die eintönige Präsenz ihres Mannes zu bekämpfen. „Bei Mondschein rezitierte sie im Garten alles, was sie an leidenschaftlichen Reimen auswendig konnte (…)“ – nur, die Liebe will sich nicht einstellen. Charles bewundert seine Frau äußerlich, beinahe objektiv, aber er ist nicht fähig, die verborgenen Wünsche seiner Frau zu registrieren. „Seine Gefühle regten sich nun pünktlich; er umarmte sie zu festen Zeiten“, heißt es lapidar über die eingespielte Beziehung. Irgendwann bricht es dann aus Emma heraus: „Mein Gott! Warum habe ich geheiratet?“
Zwischen dem Paar herrscht eine gewisse Sprachlosigkeit. Bevor das Drama seinen Lauf nimmt, beklagt Emma ihre Einsamkeit. Da ist weder eine Gemeinschaft noch eine Person, der sie sich anvertrauen kann. Zudem sind diese Themen im Milieu der Eheleute ein Tabu. Sie fragt sich: „Doch auf welche Weise ein nicht fassbares Unbehagen ausdrücken, das sich verändert wie die Wolken, wirbelt wie der Wind?“ Der Erzähler fügt hinzu: „Es fehlen ihr also die Worte, eine Gelegenheit, Mut“.
Ihre unerfüllte Liebe verdrängt Emma schließlich mit Fantasien und Illusionen. Der Wandel wird so beschrieben: „Je näher die Dinge ihr standen, desto entschiedener wandte ihr Denken sich von ihnen ab“. Sie träumt von einem idealen Ehemann, beginnt ein prunkvolles Leben zu begehren, sehnt sich nach Abwechslung und verliert sich in das imaginäre Reisen in die Metropolen ihrer Zeit. Die Verzweifelte verfällt nebenbei in einen Konsumrausch und verschuldet sich. Der Ehebruch wird unter diesen Umständen – Flaubert ist hier ein Provokateur – eine beinahe logische Konsequenz.
Der weitere Verlauf des Romans wird zeigen, dass, trotz aller verzweifelten Versuche, jede echte Erfüllung Emma stets versagt bleibt. Ihr Leben endet in einer große Enttäuschung. Der Selbstmord ist das Finale ihrer tragischen Existenz.
Flaubert lässt den Leser mit einer fundamentalen Frage zurück: Hätte das Drama verhindert werden können? Gleichzeitig entwickelt der französische Schriftsteller mit Madame Bovary den Typus einer starken Persönlichkeit, im Kontext des modernen Strebens nach Einheit und Wahrheit, die noch heute fasziniert. Das Leben der berühmten Französin, die Flaubert erschuf, beschäftige Generationen.
Jenseits der Religionen bleibt die Frage nach dem Sinn der Ehe und den Voraussetzungen einer geglückten Beziehung offen. Eine Notwendigkeit scheint es zu sein, zu einem offenen Gespräch über die gegenseitigen Erwartungen von Paaren, den Konventionen und dem sozialen und ökonomischen Umfeld, in dem wir uns heute bewegen, fähig zu sein. Die Kombination von islamischen Quellen und moderner Literatur stiftet dazu den spannenden Rahmen.