„Skandale verlangen große Besetzung.“ Wolfram Weidner (*1925), dt. Journalist
Wortakrobat Roger Willemsen hat seinen Rückzug aus dem Fernsehen damit begründet, dass dort nur noch erscheine, was keine „Relevanz“ mehr habe. Diese Einsicht gilt eigentlich auch im Großen und Ganzen beim Thema Islam. Gesendet werden in erster Linie „Probleminszenierungen“, Talk-Shows mit Radaukomponente oder, wie beim SWR neuerdings, ein Wort zum Freitag, wobei sich der ja eigentlich säkulare Sender ein letztes Wort in religiösen Fragen (eine andere Formulierung für einen Zensurvorbehalt) ausdrücklich vorbehält. Die Freiheit des Wortes und der Verstand der Zuhörer werden offensichtlich recht gering eingeschätzt. Der Eintritt ins Fernsehstudio ist eine Form der Ermächtigung, die Muslimen nur unter dem Gesichtspunkt absoluter politischer Korrektheit gewährt wird.
Auch neben den Fernsehkameras bietet der Kulturbetrieb, die Kirche des Säkularen, wenig Überraschendes. Die LitCologne, nächstes Jahr wieder nicht ganz in der abendländischen Tradition, sondern gesponsert von „Toyota“, bietet zum aktuellsten Thema, das diese Zeit bietet, der Auseinandersetzung mit dem Islam, nur Widergekäutes. So wird eine mit großer Sicherheit kontroverse, aber mit gleicher Sicherheit auch langweilige Runde des Kölner Moscheenstreits inszeniert. Wer kennt allen Ernstes noch nicht die Argumente, die sich um die Höhe des Fernsehturms und die Höhe der geplanten Minarette zuverlässig im Kreis drehen? Ansonsten macht die LitCologne einen großen, tatsächlich künstlichen Bogen um das Thema Islam und um die spannende Frage, warum diese Lebenspraxis heute den Intellekt von so vielen EuropäerInnen anregt und inspiriert. Das wirklich aktuelle und brisante Thema Islam und Ökonomie wird bei der sinnlosen Streiterei um die Höhe der Türme, in denen die meisten Beteiligten sitzen, sowieso übersehen.
Bei der LitCologne im nächsten Jahr wird Roger Willemsen eine Eröffnungsveranstaltung zum Thema der fernsehabgewandten Komik, „Das große Gelächter“, moderieren und Verschwörungstheorien vertraut machen. Am 2. März wird er „radikal“ sein und sich mit Peymann und Charlotte Roche treffen, wobei Letztere einen Roman geschrieben habe, so Willemsen, vor dem man sich „ekeln“ müsste. Das soll sich alles ziemlich wild anhören , ist es aber wirklich wild? Ich erinnere mich an einen Auftritt von Jean-Christophe Rufin bei der letzten LitCologne, der beinahe flehend um Zeit rang, seine „politische These“ vortragen zu dürfen und nicht als lieber Literaturonkel etwa nur vorzulesen.
Bei der Lektüre der Schiller-Biografie von Safranski staunt man über die Fähigkeit Schillers, zeitgemäße Dramen aufzuführen, die nicht nur das Publikum selbst, sondern den ganzen politischen Raum in Frage stellten. Immer wieder werden seine Stücke zensiert, zerstückelt, lösen Skandale aus. Dabei überlässt der so brillante wie mutige Dichter dem Publikum das moralische Urteil, man muss (besser man darf) selbst entscheiden, ob man Wallenstein als „Guten“ oder „Bösen“ sieht. Diese echte Streitkultur, den bildenden Widerstreit zwischen Idealen und Realismus, sucht man heute meist vergeblich. Wo findet sich auch diese Bühne?