„Kapitalistische Totalisierung ist nicht möglich ohne eine entsprechende Mobilisierung.“ Robert Kurz
Wir leben in Zeiten, in denen man es auch mit einfach gestrickter Polemik in die Süddeutsche schafft. Wichtig nur, man muss, wie es Daniel Goldhagen heute in der SZ tut, mit düsteren Worten den drohenden Weltuntergang beschreiben, die Gestalt eines politischen Islam skizzierend, der säbelrasselnd und unter der Führung des Iran und der Hamas demnächst mit Atombomben um sich wirft. Für über eine Milliarde Muslime ist diese Achse nicht nur wenig attraktiv, sondern auch eher irrelevant, denn, wer will sich als denkender Muslim ernsthaft für einen palästinensischen Kleinstaat opfern oder unter die Führung der technologiegläubigen Mullahs geraten?
Als Begriff ist der so genannte politische Islam eher ein Paradox, den entweder sind dessen Ziele uns schlicht unbekannt oder aber die Idee des politischen Islam erschöpft sich in der schlichten Kopie westlichen Staatsdenkens – bis hin zum antiquierten Kampf für einen „islamischen“ oder „arabischen“ Nationalismus. Die absolute Mehrheit der Muslime weiß durchaus, dass wir in keinem politischen Zeitalter leben. Wir teilen die weltweite Skepsis gegenüber politischen Systemen und Parteien. Wenn wir Muslime Fernsehen schauen, fragen wir uns genauso hilflos wie jeder andere Bürger: Dient die Wirtschaft noch der Politik, oder die Politik längst der Wirtschaft?
Aber lassen wir diese Frage offen. Die Frage die sich uns, die wir den Islam lieben, stellt und sich für uns aufzwängt, ist: Wer hat Interesse an der begrifflichen Verknüpfung des Bösen mit dem Islam? Jede Ideologie braucht ja einen Feind wie die Luft zum Atmen. Interessant wäre insoweit eine andere Begriffsinnovation: der politische Kapitalismus. So wie man ja heute zwischen Islam und Islamismus trennt, ist auch hier Unterscheidung wichtig. Man könnte diesen Begriff zum Beispiel so definieren: Grundsätzlich ist seit Menschengedenken für alle Hochzivilisationen Kapital, Eigentum und Handel nichts Schlechtes. Mehr wie jede Politik hat der Handel die Völker dieser Erde miteinander verbunden. Gefährlich wird es nur, wenn das Kapital „totalitär“ wird, die Marktgesetze zu Gunsten einiger Monopole und der Planwirtschaft globaler Konzerne aufhebt, Kriege inszeniert oder als „autoritärer“ Kapitalismus die Mechanismen der Demokratien unterwandert.
Der politische Kapitalismus und seine öffentlichen Vertreter reduzieren unsere alte abendländische Frage nach dem Sinn von Sein auf ihre letzte Frage: Bist Du fit für den Arbeitsmarkt?
Wir Muslime sind gegen den Terrorismus, er ist und war niemals Teil der Offenbarung. Genauso wenig offenbart sich uns der Glaube, politische Ideologie oder Feindschaft könnte das menschliche Dilemma lösen. Wir hören daher mit großer Genugtuung das Versprechen, der Kampf gegen den Terrorismus sei nicht ein Kampf gegen den Islam. Das heißt, wir Muslime können weiterhin – was wollen wir schon mehr – unserem Ritus entsprechend in Gemeinschaft leben, unsere Stiftungen gründen, die Freiheit des Marktes verteidigen und nebenbei die Forderung nach der Einschränkung der globalen Macht des politischen Kapitalismus mit erheben.
Wir Muslime sind nicht durch die Aufklärung bedroht, benötigen keinen rückwärtsgewandten Puritanismus, wohl aber, wie alle Menschen, eine Aufklärung, die das ökonomische Feld nicht ausspart. Das Versprechen endloser Geldvermehrung, das Dogma ewiger Schuld, die Verherrlichung des Arbeitslebens sind die religiösen Komponenten des politischen Kapitalismus. Hier wurzelt der religiöse Kampf zwischen Kosmokraten und Islamisten. Für den politischen Kapitalismus ist nicht der Islamismus die Gefahr. Es sind die Muslime. Der Islam offenbart ihnen keine maßlose Ideologie, wohl aber ein ökonomisches Maß.