Ja, die radikale Subjektivität hat eine gewisse Konjunktur und wird auch benutzt. Sie ist sogar im ehrwürdigen ZDF willkommen und nahm die Form eines denkwürdigen, öffentlich-rechtlichen Ausnahmefalls von der üblichen Erfordernis politischer Korrektheit an, der natürlich nur gilt, wenn das Gerede auch sicher die Funktion einer vermeintlich schonungslosen Abrechnung mit dem Islam erfüllt. Das alles ist aus intellektueller Sicht ziemlich langweilig. Man könnte sich eigentlich dem Tagesgeschäft zuwenden, wäre mit dem Phänomen nicht auch eine berechtigte Sorge verbunden.
Die radikale Islamkritik nährt sich aus einer simplen Gleichung. Jede noch so verrohte Tat eines x-beliebigen Muslim wird dem Islam zugerechnet. Brisante Wortungetüme, entnommen aus den Schubläden des Bösen, wie „islamischer Faschismus“ oder „islamischer Bankraub“ sollen einerseits ködern und andererseits mobilisieren. Es gibt wenig Hoffnung auf Besserung. Bei der Realität von über einer Milliarde Muslimen weltweit wird es wohl auf absehbare Zeit kein Nachschubproblem für das zu fütternde Empörungspotential dieser Gesinnung geben. Ich bin „gut“, „demokratisch“, „frauenfreundlich“ und was auch immer, weil „sie“ es nicht sind, diente von jeher der willkommenen Indentitätsstiftung einfacher Gemüter.
Es sind Possen, die uns zu einigen schöngeistigen Überlegungen motivieren könnten, wären wir nicht auch – genau genommen, immer wieder – nur einen kleinen Schritt von dem Übergang zur physischen Gewalt gegen Muslime entfernt. Sie kann, machen wir uns nichts vor, als Lage auch im größeren Maßstab eine reale Option werden.
Ja, es ist die Zeit der „Infokrieger“, der Propagandisten und der Polemiker. Nicht nur auf der großen Bühne. Es sind oft eher Typen als Charaktere, die sich hinter Nicknames verstecken oder hinter vorgehaltener Hand tuscheln. Sie suchen, auf ihre Art treffsicher, die ideologische Wahlverwandtschaft aus dem anderen Lager. Und ja, ein Blick auf „unsere“ muslimische Propagandisten, die ganz gerne dem Feind gegenüberstehen, zeigt es: Euch diese Genossen beherrschen genauso das einfache Einmaleins des Geschreis und die gnadenlosen Techniken des „Agitierens mit Tatsachen“.
Man kann es auch mit den Gesetzen des Kapitalismus erklären. So nüchtern wie eine Kellner, der am Abend seine Kasse zählt, gilt es hier festzustellen: Auch für die herbste Art der „Islamkritik“ gibt es einen Markt. Und die Nachfrage wird bedient. Man muss es zur Kenntnis nehmen: Diese Bücher sind Bestseller. Nun wird das Gespräch mit den Autoren wenig Sinn machen, kennen sie doch das eigentliche Überlebensgesetz radikaler Subjektivität: „Setzte Dich nie mit dem intelligenten Gegner an einen Tisch, sondern meide Sie!“
Eine ganz andere Frage ist, ob man die Leser aufgeben sollte.
Hier machen es sich manche Zeitgenossen etwas einfach. Es sind dann die bösen Mitbürger, „Faschos“, „Rechte“ oder was auch immer. Das stimmt manchmal auch, aber natürlich nicht immer. Wir vergessen hier oft einen einfachen und anderen Umstand. In den meisten Fällen kennen diese Mitmenschen keine Muslime – unsere Gegenargumente, so kraftstrotzend sie sein mögen – kommen aus den abgewandten Sphären unserer Lebenswelt dort gar nicht mehr an.
Das ist die Sorge selbst. Ignorieren reicht nicht, wir müssen natürlich mehr denn je agieren, in der Nachbarschaft, in den Medien, an den Stammtischen, eben überall, wo man sprechen kann und sprechen darf. Man wird nur einen kleinen Teil dieser Leute erreichen. Dieser lohnt aber den Aufwand. Neulich argumentierte ich mit einer virtuellen Meute auf Facebook, die jungen Muslimen pauschal vorwarfen, kein Deutsch zu sprechen und die Gefängnisse Deutschlands zu bevölkern. Es half nichts. Aber engelsgleich segelte eine unbekannte Gestalt in das verworrene Gespräch hinein und argumentierte über mich hinaus. Voilá. Es war kein Muslim. Wer war er nur?