Die politische Verlockung des postfaktischen Zeitalters sei die „Bewirtschaftung von Launen“, schrieb Eduard Kaeser in der NZZ. Spätestens nach den Berliner Wahlen wird uns klar, dass das Spiel mit Träumen und Albträumen inzwischen immer mehr den politischen Diskurs in unserem Land bestimmt.
In unsere Idee der rationalen Aufklärung politischer Konflikte ragt das kollektive Unbewusste hinein. Für die einen ist die Aufnahme von Flüchtlingen ein Albtraum, eine „Invasion“, die Sicherheit und Wohlstand bedroht, für die anderen der Auftakt in den Traum einer gerechten und sozialen Weltgesellschaft.
Gerade das Schicksal der Hauptstadt und die Nachwirkungen einstiger Diktaturen bestimmen dabei die Bilder, erinnern an überwunden geglaubte Ängste und Hoffnungen. Wie kaum in einer anderen Stadt zeigte der letzte Urnengang die Zerrissenheit der politischen Landschaft auf. Es gab keine echten Sieger.
Die wachsende Zustimmung für die AfD und ihr bedenkliches Credo „Wahrnehmung ist Realität“ lässt die Notwendigkeit bewusst werden, die philosophischen und geschichtlichen Grundlagen unseres Gemeinwesens neu zu bedenken. Parallel zur ungelösten Irrationalität unseres ökonomischen Systems wachsen nun die Zweifel an der aufgeklärten, nach Fakten suchenden und Tatsachen prüfenden Gesellschaft.
Mittendrin sind dabei die Muslime, die auf der einen Seite Objekte dunkler Assoziationen sind, aber andererseits politisch weder Stimme noch Lobby haben. Ironischerweise sind es aber gerade diese WählerInnen, die nur in einer funktionierenden Demokratie die Wahrung ihres religiösen Status gesichert sehen.
Ein Motiv, dass die europäische Geschichte, man denke nur an die alten konfessionellen Gegensätze Europas, nicht unerheblich geprägt hat. Sicherheiten gibt es im politischen Feld nicht. Ob die Befriedung der Gesellschaft auf Dauer gelingen kann, wird vielmehr zu einer offenen Frage. „Die Zersetzung der Demokratie beginnt mit der Zersetzung ihrer erkenntnistheoretischen Grundlagen“, schrieb Kaeser in seinem Kommentar.
Gerade das Thema „Islam“ zeigt, welche Mühen wir heute haben, komplexe Phänomene in ihrer Vielschichtigkeit anzuerkennen. Das Zusammenleben wird aber nur in Harmonie möglich sein, wenn es uns gelingt, die Konstruktion von Wirklichkeit, die sich in ideologischen Köpfen zusammenbaut, zu entlarven. Die ganze Stadt wird überhaupt nur bestehen können, wenn ihre freien BürgerInnen in Moscheen, Kirchen und Synagogen gehen können und wenn es gemeinsame Plätze gibt, für einen Markt der unterschiedlichen Angebote und Kulturen.
In der Ausgabe 256 der „Islamischen Zeitung“ erschienen.