Tja, der Sonntag wird wohl die Muslime eher spalten als versöhnen. Hingehen? Wegbleiben? Die Demonstration wird leider inzwischen von verschiedener Seite „politisiert“. Die ersten Politiker nehmen den Muslimen, die sich ja eigentlich erklären wollten, die Redezeit weg. Grundidee der deutschen Politik bisher: Der „böse“ politische Islam soll durch einen „guten“ politischen Islam bekehrt werden. Ist also beides politischer Islam … Nur, ich dachte eigentlich der Islam sollte sich künftig „sicherheitshalber“ von der Politik fernhalten?
Ja, der Staat muss wachsam sein, dass nicht ein paar einsame muslimische Indianer hier Unheil anrichten. Die Bevölkerung muss allerdings wachsam sein, dass ein Staat, der künftig „Imame“ bilden, bezahlen, kontrollieren und belauschen will, nicht selbst ein radikales, ja, ein anderes Wesen bekommt. Als Muslim habe ich auch Zweifel, dass man den Islam, den ich schätze, an Universitäten und durch Lehrsysteme überhaupt weitergeben kann (…mir ist der Gelehrte, mit dem ich unter dem Baum sitze, lieber). Ironischerweise waren es ja gerade die Universitäten von Paris, London und Berlin, die die schleichende Ideologisierung des Islam mitverursacht hatten.
Islam wird heute noch immer missverstanden. Einen gemäßigten, positiven, organischen Islam wird es nur geben, wenn die Muslime, wie einige Jahrhunderte zuvor, auch in Gemeinschaft leben können. Hierzu braucht es die soziale Verantwortung der Zakat. Hierzu braucht es die Stiftungen, Märkte und Moscheekomplexe. Hierzu braucht es die soziale Dynamik der Frauen. Alles andere, liebe Politiker, ist eben doch „politischer“ System-Islam, der je nach Lage von liberal (nett) zu radikal (böse) hin und herschwingt (siehe unsere diesbezüglich recht flexiblen politisch-islamischen Organisationen). Tragische Züge bekommt auch der geistige Feldzug gegen den radikalen Islamismus, wenn er vorgibt, nach dem (wahrscheinlichen) Endsieg sei etwa die Demokratie gerettet. Die Demokratie verändert sich ja bereits ganz offen, ziemlich schnell und beinahe täglich unter dem titanischen Druck des globalen Kapitalismus (nicht vergessen: auch der Islamismus ist zumeist „Kapitalismus“).
Besonders aktiv im sich Überbieten der „quasireligiösendemokratischendauer“-Bekenntnisse sind heute viele ImmigrantenInnen, die nach der Trübsal ihrer kulturellen Erfahrungen mit den Heimatländern (Syrien usw.) vom Islam genug haben. Irgendwie ärgerlich für Sie, dass sie den Islam in ihren Genen einfach nicht los bekommen. Jetzt müssen sie sogar den Islam öffentlich vertreten, gar lehren? Ich kann dabei verstehen, dass man beispielsweise als muslimische Frau aus sogenannten islamischen Ländern erst einmal vom kleinbürgerlichen Patriarchat genug hat. Dann halt weg mit dem Kopftuch – nur, warum nicht mehr beten? Keine Pilgerreise? Keine Zakat bezahlen? Ich frage mich auch, ob im säkularen Haushalt wirklich beide Partner sich auf Rosen betten ? Wird hier nicht doch „türkische“ oder „arabische“ Kultur mit dem Islam verwechselt?
Jetzt bin ich aber vom Thema abgekommen… Also, Köln – hingehen oder nicht?
Ehrlich gesagt, ich fürchte, unser good old Deutschland könnte mal wieder ein bisschen extrem werden. Ich frage mich, was die BILD (das Volk) schreibt und fordert, wenn, möge Allah es verhindern, hierzulande wirklich etwas geschehen sollte. Dann ist in Deutschland vieles wieder möglich. Zeit also, für einen positiven Gegenwind zu sorgen.
Das Gespräch über den Islam macht ja auch immer wieder Spaß. Ich bin bisher eigentlich noch niemandem begegnet, dem man auch nicht die faszinierenden Seiten des Islam nahe bringen könnte. Die Ideologen, die gegen den „ideologischen“ Islam agitieren, verschanzen sich ja eher in ihren Denksystemen. Begegnungen zwischen denkenden Menschen sind heute ja eher selten. Warum auch ein mühsames Gespräch, wo das Internet doch die Recherche schneller und billiger macht?
Ja, die Demonstration ist richtig. Das passive Wegbleiben des Islamrates (= Milli Görüs) kann ich nicht verstehen. Ich finde das kleinkariert. Für mich geht es nicht um Politik oder darum, wer redet, sondern um uns Muslime, die ein positives Signal setzen wollen, setzen müssen. Die alte und offen gesagt langweilige Krankheit des heiligen Islamrates ist es mal wieder, die Dinge „vereinspolitisch“ lesen zu müssen. Das ist von oben verordneter Stillstand, zum Nachteil der besorgten Mitglieder. Wer ein bisschen mit der Gesellschaft und den Nachbarn nebenan kommuniziert, wer auch mal Nicht-Muslime für den Islam begeistern will, weiß sehr wohl, dass dieses Zeichen von Köln in seiner ganzen Einfachheit wichtig ist. Ich bin gespannt, wem man in Köln -jenseits der Lautsprecher und jenseits der Politikbühne – begegnen kann.
Bizarr ist übrigens auch die Behauptung, die Muslime hätten gar nichts mit dem Terrorismus im „Ausland“ zu tun und die Demonstration sei „unnötig“. Der Modernismus und Wahabismus kannte eigentlich nie Grenzen. Die klare und öffentliche Ablehnung von Selbstmordattentaten durch (selten freie) Imame war in vielen Moscheen bei uns nicht gerade üblich. Unserer Zeitung – nebenbei bemerkt – hat diese ablehnende Positionen auch einige Abonnenten gekostet. Diese Debatte wird man also, dem Islam zuliebe, schon führen müssen.