„Wissen Sie, was unser Beruf ist?“ setzte er an. „Theater, weiter nichts.“ (Politiker in „Globalia“ von Rufin)
Die von CDU-Veteran Heiner Geißler geäußerte Befürchtung, dass in Deutschland eine bigotte religiöse Rhetorik als Instrument zur Machterlangung Konjunktur gewinnen könnte, zerstreute CDU-Chefin Angela Merkel bei ihrem Auftritt bei der „Atlantikbrücke“. Sie exemplifizierte das christliche Menschenbild am Konzept der sozialen Marktwirtschaft (…und das ist die Ordnung, die sich gerade bedauerlicherweise zu großen Teilen auflöst). Dagegen streifte sie die Auseinandersetzung mit dem Islam, von der Union am Beispiel der Türkei geführt, nur in einem Satz.
Von christlichem Pathos also keine Spur. Ansätze dazu habe es in der Union gegeben, sagte Geißler. „Das hat sich verlaufen.“
Der erfahrene CDU-Politiker Heiner Geißler macht sich über die Rolle des Christentums keine große Illusionen. In der Zeit hat er unlängst einen ganz unchristlichen Wutanfall veröffentlicht: „Unter Berufung auf angebliche Gesetze des Marktes reden sie vielmehr einer anarchischen Wirtschaftsordnung, die über Leichen geht, das Wort. 100 Millionen von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen in Europa und den USA und 3 Milliarden Arme, die zusammen ein geringeres Einkommen haben als die 400 reichsten Familien der Erde, klagen an: die Adepten einer Shareholder-Value-Ökonomie, die keine Werte kennt jenseits von Angebot und Nachfrage, Spekulanten begünstigt und langfristige Investoren behindert.“
Frau Merkel vermeidet also an diesem Tag die Versuchung einiger Konservativer, die Begriffe des alten Europas, „Christentum und Kultur“, vor allem gegen den Islam zu definieren. Ganz zu schweigen von der Leugung islamischer und jüdischer Wurzeln des Abendlandes, bis hin zu einer gewissen Vergesslichkeit gegenüber dem europäischen Krieg auf dem Balkan mit seinen zehntausenden getöteten europäischen Muslimen.
Kiel. Christliches Weltbild offenbart sich ja vor allem in der Feindesliebe. Heide Simonis liegt am Boden. Der „Spiegel“ berichtet: „Ganz anders ist es bei der CDU: Sie johlen und klatschen, als sie das Ergebnis hören. „Die Simonis hat sich nicht gewählt, weil sie die Schnauze voll hat“, feixt der CDU-Abgeordnete Hans-Jörn Arp. Es gibt jetzt Szenen, die mehr an ein Fußballspiel als an eine Parlamentssitzung erinnern. „Geil“, ruft Arp. Peter Harry Carstensen, der für die Partei als Ministerpräsident kandidiert, ballt seine rechte Faust – wie nach einem Siegtor in letzter Minute. Er reißt den Mund weit auf, sein Gesicht ist ganz rot, als er von seinem Platz aufspringt, rutscht beinahe sein Wasserglas vom Tisch.“
Stuttgart. Laut dem 68-seitigen Bericht, der jetzt vom Landeskabinett (nach 18 Jahren harter Arbeit gerade fertig geworden) verabschiedet worden ist, leben derzeit knapp 610 000 Menschen islamischen Glaubens zwischen Konstanz und Mannheim, das entspricht einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 5,7 Prozent. Seit der Volkszählung von 1987 hat sich die Zahl der Muslime im Südwesten mehr als verdoppelt. „Der Islam wird von einer Religion überwiegend ausländischer Mitbürger zunehmend zu einer Religion von Deutschen im Sinne des Grundgesetzes“, heißt es weiter im Bericht. Es sind also bald Halal-Maultaschen, vielleicht sogar ein muslimische(r) Abgeordnete(r) fällig.
Ansonsten wird die CDU-Regierung in Stuttgart natürlich vor dem Islamismus gewarnt. Der Bericht ist hier ein bisschen heikel, beinahe oberflächlich (waren da nicht unlängst einige Polizeiaktionen im Ländle?). Wie eigentlich in allen bisherigen offiziellen Berichten, darf das Wort Saudi-Arabien, dem das Land einiges an Wohlstand verdankt, nicht fallen. Das ist eine sicherheitspolitische Gratwanderung. In einem Städtchen, ich glaube sogar im Wahlkreis des CDU-Generalsekretärs Kauder, werden ja ganze Kisten Munition ins unsichere Riyadh verschickt. Hoffentlich kommt alles richtig an.
Da fällt mir eine Äußerung des Orientalisten Bernard Lewis aus dem österreichischen „Standard“ ein:
„Lewis tritt für eine Sicht des Islam ein, die in der Mitte zwischen der Friede-Freude-Eierkuchen- und der Alles-Terroristen-Darstellung liegt: Beide seien allein Unsinn, beide enthalten wahre Elemente. Der Princeton-Emeritus macht darauf aufmerksam, dass das Selbstmordattentat im Islam eine sehr rezente Erscheinung sei, Produkt einer neuen Gedankenschule. Den Wahhabismus, der erst im zwanzigsten Jahrhundert durch den Aufstieg des Hauses Saud auf der arabischen Halbinsel und den Öleinnahmen relevant wurde, hält Lewis für das ideologische Grundübel: Dafür, dass die Wahhabiten den Islamunterricht in der islamischen Diaspora kontrollieren, sollten sich die europäischen Regierungen mehr interessieren.“
„Deutschland ist ein christliches Land, Herr Kizilkaya!“ Hartmut Koschyk schießt hart zurück, nachdem er ein Interview des Islamratsvorsitzenden in der „Welt“ gelesen hat. Koschyk setzt sich mit seiner Politik unter anderem für das christliche Abendland, Franken, Kultur, Arbeitsplätze und Ortsumgehungen ein (Seit 1994 Bundesvorsitzender des Vereins für Deutsche Kulturbeziehungen im Ausland e.V., seit 1995 Vorsitzender des „Theatersommer Fränkische Schweiz“. Seit 2001 Vorsitzender der THW-Landesvereinigung Bayern e.V.. Seit 2003 Vorsitzender der Teichgenossenschaft Oberfranken. Seit 2003 Stellv. Vorsitzender des Vereins „Fischregion Oberfranken“ e.V.)
Neben dem Vorsitz für die Fischregion Oberfranken strebt er auch in der Partei noch höher hinaus: Stimmen fischen. Da kommen die Muslime gerade recht. Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion formuliert eine harsche Presseerklärung: „Unser Zusammenleben wird bestimmt von einem Kanon von Überzeugungen und Werten, die Deutschland als freiheitliches, demokratisches und rechtsstaatliches Gemeinwesen definieren, das auf dem christlichen Wertefundament beruht.“ Amen. Die einfache Botschaft: Tut uns leid, aber der Islamrat gehört nicht zum Abendland. Man sagt „Herr“ Kizilkaya, glaubt aber nicht wirklich, dass diese Türken zur Demokratie und Christenheit passen könnten.
Im Grunde ist die Existenz des Islamrates auf der Seite des „Feindes“ überaus wichtig. Ohne diese kultivierte Gegnerschaft müsste die CDU positiv definieren, was für sie denn Begriffe wie „Kultur“, „Demokratie“ oder „Christentum“ heute tatsächlich (noch) ausmachen. Der letzten „geistig-moralischen Wende“ der Konservativen haben wir Privatfernsehen und „Big Brother“ zu verdanken. Die – sozusagen erschreckende – simple Option, den Islamrat für die Demokratie zu gewinnen, muss daher langfristig ausgeschlossen werden. Diese Unmöglichkeit sichert die Verbannung in das Randdasein, und nebenbei sichert man so auch Arbeitsplätze beim Verfassungsschutz. Auch fast schon flehend vorgetragene politische Bekenntnisse derartiger Andersgläubiger gefährden die Identität der modernen CDU. Dieses so harmlose wie politisch korrekte Interview in der christlich-abendländischen „Welt“ hatte Koschyk provoziert:
WELT: Sie haben mehrmals auf das Grundgesetz abgehoben. Aber es gibt neben ihm doch eine Art christlicher Prägung, um nicht Leitkultur zu sagen. Damit können Sie wenig anfangen?
Kizilkaya: Für mich gilt das Grundgesetz, ohne Wenn und Aber. Leitkultur beinhaltet immer ein Stück Ungleichheit. Es kann nicht sein, daß es neben dem Grundgesetz ein, wenn auch nicht fixiertes, höheres Recht gibt. Im Übrigen weiß ich nicht, wie die „Leitkultur“ in zehn Jahren definiert werden wird. Die einzige Leitkultur, die es geben kann, ist die Kultur des Grundgesetzes. Eine Zwei-Klassen-Kultur ist mit dem Rechtstaatsgedanken nicht vereinbar.
Die CDU hat ihm seine politische Beichte jedenfalls nicht abgenommen. Nun gibt es Stimmen, die nicht ganz zu Unrecht anmerken, dass sich Milli Görüs zum Islamrat ähnlich verhält wie die USA zur UNO (…inklusive fehlender Zahlungen). Nur, deswegen gleich so viel christliches Theater?