Liebe Gäste, liebe Vertreter des Islam in Europa,
es ist mir eine große Freude, Sie alle zu diesem Arbeitstreffen der EMU in Bonn begrüßen zu dürfen. Wir haben uns hier am Rhein in einer der alten Kernregionen Europas getroffen. Man vergisst sehr leicht, dass nur wenige Kilometer von hier eine der großen Feindeslinien Europas verlief, zwischen Franzosen und Deutschen, getrieben von einem Nationalismus, der nun seit einigen Jahrzehnten gottlob überwunden ist. Für viele Generationen vor uns schien dies noch undenkbar. Heute ist Europa nicht nur im stetigen Wandel, sondern hat einen grenzenlosen Raum geschaffen, dessen Identität, dessen Sinn und dessen Substanz wir Europäer selbst bestimmen werden und bestimmen müssen. Es muss klar sein, dass Europa dabei nicht nur einen gut abgeschotteten Wirtschaftsraum darstellt.
Wie Sie wissen, wurde der große politische und ökonomische Erfolg Europas auch durch eine große Immigrationsbewegung begünstigt. Viele einfache Arbeiter aus Pakistan, Marokko oder der Türkei haben hier nicht nur hart gearbeitet, sondern auch mit einfachsten Mitteln und – ich möchte dies herausstreichen – auch mit beachtlicher Großzügigkeit eine bemerkenswerte Präsenz des Islam in Europa geschaffen. Die neuen Generationen türkisch- oder arabischstämmiger Muslime gehören für mich heute natürlich – ganz genauso wie meine eigenen Kinder – zu Europa. Sie sind europäische Muslime.
Die Geschichte des Islam in Europa geht gleichzeitig über die Geschichte einer Immigrationsbewegung hinaus. Andalusien und Bosnien beherbergen nicht nur faszinierende architektonische Reichtümer, sondern sind auch lebendige geistige Landschaften, die nach wie vor wirken und den Islam in Europa bis heute prägen. Die Stadt Istanbul ist für uns eine bedeutungsvolle Drehscheibe zwischen Ost und West und zu Recht symbolischer Ehrensitz unserer Organisation. Es ist eines der einfachen Ziele der EMU, die Solidarität zwischen uns europäischen Muslimen in ganz Europa zu stärken. Dazu müssen wir uns zunächst besser kennenlernen. Hierzu dienten zum Beispiel dieses Jahr Reisen nach Moskau, Kazan, Pristina, Granada und Istanbul.
Es ist aus vielen Gründen Zeit, den Umstand, dass der Islam längst eine Heimat in Europa gefunden hat, selbstbewusster darzustellen. Der Islam in Europa ist uns hier in Deutschland schon seit Goethes Zeiten vertraut. „Wenn Islam Gottergebenheit heißt, leben und sterben wir alle im Islam“, lesen wir bei dem großen europäischen Dichter. Diese Nähe zwischen Europa und dem Islam ist auch deswegen möglich, weil der Islam Kulturen filtert und hervorbringt, selbst aber keine Kultur ist. Die europäischen Muslime, in dem weiten Sinne, wie ich diese Schnittmenge verstehe, sind der lebendige Beweis, dass Huntingtons These vom bevorstehenden Kulturkampf schlicht falsch ist. Wir gehörten schon immer zum europäischen Kulturkreis. Wir, die wir hier mit vollem Herzen leben, die Sprachen Europas sprechen, wollen und müssen Europa überzeugen, dass der Islam eine positive, soziale und konstruktive Lebenshaltung hervorbringt.
Wir haben dieses Treffen bewusst nüchtern ein Arbeitstreffen genannt um anzudeuten, dass tatsächlich viel Arbeit vor uns liegt. In Europa fehlt es an Stiftungen, Infrastruktur, Institutionen, bis hin zur eigenen Ausbildung von unsere Sprachen sprechenden Imamen. Wir sind längst nicht ausreichend in den wichtigen Institutionen Europas vertreten. Auf einem Seminar der Europäischen Union in Kazan haben wir dieses Jahr festgestellt, dass es bisher kaum Lobbyarbeit in Brüssel, also auf der europäischen Ebene gibt.
EMU versucht diese Herausforderung anzunehmen und entsprechende Ziele zu definieren. Wir haben daher für dieses Treffen zunächst 5 Orientierungspunkte gewählt, die wir später in den Präsentationen auch detaillierter vorstellen werden. Die Auswahl der Thematik deutet bereits an, dass wir nicht in die politische Souveränität der einzelnen lokalen Mitgliedsorganisationen eingreifen wollen, sondern vielmehr die sozialen, ökonomischen und karitativen Aspekte des Islam – und zwar zugunsten aller Europäer – stärken wollen. Hier geht es nicht darum, die Muslime politisch oder zentralistisch dominieren zu wollen, hier geht es darum, den Muslimen in Europa zu dienen.
Auf diesem Seminar geht es uns darum – neben dem gegenseitigen Kennenlernen – auszuloten, ob wir in den Feldern Lehre, Jugendaustausch, Märkte und Moscheen sowie Medien auch praktisch besser zusammenarbeiten können. Vielleicht ein paar Worte, warum diese Auswahl so getroffen wurde.
Wenn man dem Islam in Europa eine sinnvolle Identität geben will, dann braucht es hierzu zunächst eine Lehre, die verbindlich definiert, was der Islam und der Beitrag der Muslime ist. Es geht nicht darum, gegen die Globalisierung zu sein, sondern die Rolle und Verantwortung des Menschen in diesem Vorgang positiv zu definieren. Eine authentische Lehre muss den neuen, aktuellen Herausforderungen dieser Zeit gewachsen sein. Hierzu gehört – um nur zwei zu nennen – die klare islamische rechtliche Zurückweisung des Terrorismus, insbesondere die fundierte Zurückweisung von Selbstmordattentaten, aber auch die korrekte Etablierung der Ibada und der zeitlosen Säulen des Islam, insbesondere der Zakat.
Islam stärkt und fordert den Intellekt zugleich, beansprucht Aktualität und Relevanz – zu Recht fragen immer mehr Intellektuelle unsere Gelehrten nach unseren Positionen zu Fragen der Ökonomie oder Technik. Wir erleben heute ja zu unserer Überraschung, dass praktisch alle Europäer mehr über den Islam wissen wollen. Das ist auch für uns eine Chance, unser Wissen über unsere Offenbarung zu erneuern und zu teilen. Es sind – verehrte Gäste – gerade unsere Gelehrten, die Verantwortung haben, den Weg zwischen den Extremen, dem Beispiel unseres Propheten folgend, zu weisen. Islam ist weder eine esoterische Mode noch eine modernisierte Ideologie. Islam ist auch eine Einladung.
Wie können Muslime hier in Europa positiver wahrgenommen werden? Dies ist eine Frage, die sich auch viele europäische Kommunen heute stellen. Unser Vorschlag ist die Rückbesinnung auf die alten Erfolgsmodelle islamischer Architektur. Ich denke hier insbesondere an den kommunalen Zusammenhang zwischen Markt, Stiftungen und Moschee. Moscheen können, wenn sie einen entsprechenden Raum haben, eine wichtige geistige und soziale Rolle in unseren Kommunen ausüben. Wir Muslime haben die dazu notwendige soziale Kompetenz. Wir sind nicht das Problem, wir sind Teil der Lösung der sozialen Probleme unserer Großstädte.
„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, dieses deutsche Sprichwort könnte durchaus ein Motto der EMU sein. Die Organisation von Märkten im Kontext von Moscheen in Europa ist so eine gute Tat. Der Markt, eine Ur-Institution des Islam, schafft einen Kontext zwischen Moscheegemeinde und Nachbarschaft. Darüber hinaus ist die Belebung der freien Handelswege, die das Denken der Muslime und unsere globale Lebenshaltung seit jeher bestimmt haben, wichtiger denn je. An den vielen erfolgreichen muslimischen Geschäftsleuten in Europa kann man sich wirklich ein Beispiel nehmen. Gerade im Handel liegt die alte völkerverbindende Kompetenz der Muslime.
EMU hat bereits dieses Jahr, zu meiner großen Freude, den Jugendaustausch auf europäischer Ebene vorangebracht. Es ist uns ein Anliegen, Jugendliche aus ganz Europa in die Verortungen des Islam einzuladen: zum Beispiel nach Weimar, Granada, Sarajevo oder Istanbul. Die Sorge um unsere Jugend verbindet alle hier lebenden Muslime. Wir wollen, dass sie gemeinsam die Vielfalt und das Wunder unserer Schöpfung begreifen lernen.
Wer sind die Muslime? Viele Europäer bekommen den entsprechenden Eindruck heute aus den Massenmedien. Ich bin allerdings der Meinung, dass man einen authentischen Eindruck von den Muslimen nur in persönlichen Gesprächen erhalten wird. Aber natürlich, wir leben in einem Zeitalter der Medien, der Bilder – schon deswegen ist es natürlich wichtig, unsere Botschaft mit eigenen Medien und Bildern zu verbreiten. EMU wird also alle technologischen Möglichkeiten nutzen, das Bild des Islam in Europa zu verbessern.
Ich hoffe sehr, dass dieses Seminar uns gemeinsam stärken wird und wir alle gemeinsam neue Ziele definieren.
Ich möchte schlussendlich nochmals herzlich unserem Ehrenpräsidenten Prof. Dr. Yalcintas für sein Kommen danken. Herr Prof. Yalcintas hat uns nicht nur die geheimnisvollen Schönheiten der Türkei näher ans Herz gebracht, er hat uns auch immer wieder wichtige politische Ratschläge für unser Anliegen gegeben. Ich bin mit ihm darüber hinaus der Auffassung, dass unsere Beziehungen zur Türkei und unsere Beziehung zu den türkischstämmigen Muslimen in Europa von großer Bedeutung sind. Gemeinsam wollen wir verhindern, dass eine europäische Identität entsteht, die sich etwa gegen die Türkei oder den Islam definiert.
Islam und Europa. Ein faszinierendes Verhältnis. Ein Schicksal. Die Hoffnung auf ein gutes Schicksal verbindet heute alle glaubenden Menschen in Europa. Der Nihilismus und die Trostlosigkeit des Glaubens an die Willkür der Zufälle hat heute viele Europäer ermüdet. Die Leere der materialistischen Ideologien wirft Sinnfragen auf bis hin zur Frage nach der eigenen Gestalt. „Denken heißt Danken“, heißt es bei einem großen Philosophen, ich danke Ihnen von Herzen für Ihr Kommen und Ihre Bemühungen, die neue Rolle des Islam in Europa zu bedenken.