„Vor allem aber stellt das islamische Finanzsystem die einzige wirtschaftliche Kraft dar, die der Schurkenwirtschaft konzeptionell etwas entgegensetzt. Investitionen in Pornographie, Prostitution, Drogen, Tabak und Glücksspiel sind verboten. Wie schon gesagt wurde, gedeihen diese Bereiche seit dem Fall der Berliner Mauer unter dem gleichgültigen Blick des Marktstaates prächtig“. (Loretta Napoleoni)
Betrachtet man die heutigen Organisationsformen des Islam in Deutschland, dann kann man eine einseitige Festlegung auf das Politische nicht übersehen.
Islamische Organisationsformen sind zumeist hierarchisch, zentralistisch und – wenn auch nicht mehr offen – nationalistisch geprägt. Die politische Struktur beherrscht (oder verhindert) dabei die zivilgesellschaftlichen Aspekte des Islam, zum Beispiel das Markt- und Stiftungswesen, und degradiert die Lehre zu einer reinen Unterfunktion. Weder KRM noch die Islamkonferenz beherbergen insofern allzuviele „un-politische“ Geister. Ziemlich simpel ist auch die Konfrontation zwischen organisierten, praktizierenden und einzelnen, nicht-praktizierenden Muslimen aufgezogen.
Die Festlegung auf das Politische wurzelt in der Entstehungsgeschichte der meisten Verbände. In den 70er Jahren waren nationale Trennlinien oder ideologische Grabenkämpfe prägend. Der allgemeine Bedeutungsverlust des Politischen zeigt sich heute in der Frage, ob die Verbände sich künftig eher hin zu „Bürokratien“ oder „Wirtschaftsunternehmen“ entwickeln sollen und vielleicht auch in der Ratlosigkeit, „Ziele“ zu definieren.
Wenn man die soziale Dimension des Islam verstehen will, muss man das freie Spiel zwischen „Markt, Moschee, Madrasa und Stiftung“ in den berühmten Städten des Islam untersuchen. Moderner politischer Islam und seine Festlegung auf das Politische hat natürlich eine geistige Konsequenz; es geht in der modernen Politik immer um „Machtsteigerung, organisiertem Wille und Kontrolle“. Freie Medien, Stiftungen oder Märkte sind daher für den politischen Islam eher eine „Bedrohung“ und ein „Machtverlust“ als eine wirkliche „Option“.
Wenn man als islamische Gemeinschaft einen Imam auswählt, eine Moschee baut, seine Zakat zahlen will, einen Markt organisiert oder eine Stiftung gründet – warum braucht es überhaupt einen Verband? Die Islamkonferenz deutet eine der wenigen sinnstiftenden Möglichkeiten an: der Staat braucht einen „politischen“ Islam als Repräsentanz. Eine Alternative hierzu wäre es, das zivilgesellschaftliche Engagement der Muslime zu stärken. Ob die Funktion der Repräsentanz allerdings ausreicht, um eine wachsende Zahl deutscher Muslime durch Verbände innerlich und äußerlich zu binden oder ihr positives Potential abzurufen, bleibt fraglich.
Nachdem der Islam die letzten Jahrzehnte vor allem als Politikum die Debatten beherrscht hat, wächst heute sprunghaft das Interesse an der ökonomischen Dimension des Islam. Die italienische Autorin Loretta Napoleoni beschreibt in ihrem neuesten Buch „Die Zuhälter der Globalisierung“ zunächst die geräuschlose Integration von Mafia, Waffen- und Drogenhändlern, Zuhälterringen und Sklavenhaltern in den globalen Kapitalismus. Am Beispiel Chinas erklärt sie brilliant die harmonische Zusammenkunft eines autoritären Modells mit dem Kapitalismus. Im Wirtschaftsmodell des Islam sieht die Autorin den einzigen verbliebenen Gegenspieler gegen dieses Auswüchse. Der Islam, so stellt die Italienerin fest, sehe auch in ökonomischen Handlungen immer auch einen Gottesdienst.