Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

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Gefängnisse

Stand: 28.05.2004 07:22 Uhr

Bürgerrechtler: Missbrauch ist Alltag in US-Gefängnissen

Nach den Folter-Vorwürfen gegen US-Soldaten im Ausland richtet sich der Blick der Ermittler auch auf die Zustände in amerikanischen Gefängnissen. Bürgerrechtsorganisationen schlagen seit langem Alarm: Gewalt und Missbrauch seien Alltag in US-Gefängnissen.

Von Linda Staude, NDR/WDR-Hörfunkstudio Washington

Kara Gotsch ist Anwältin. Sie arbeitet für das Gefängnis-Projekt der Bürgerrechtsorganisation „ACLU“ (American Civil Liberties Union). Eine von sieben, die sich um die Rechte von über zwei Millionen Häftlingen in den USA kümmern. Wie im Fall einer jungen Frau, die verlegt und auf dem Transport von einer Wache angegriffen wurde. Kara Gotsch berichtet: „Während einer Pause hat er sie in eine Toilette geführt. Er hat sie zu Boden geworfen, sie gezwungen, sich auszuziehen. Er hat sich auf sie gelegt und masturbiert. Ein Mann von 160 Kilo, der sie mit Gewalt festgehalten hat, die Waffe die ganze Zeit sichtbar. Und er hat ihr gesagt, wenn sie schreit, würde er sie erschießen. Sie hatte allen Grund ihm zu glauben.“

In einem anderen Fall in Texas haben Häftlinge und Wachen einen Gefangenen über Monate als Sexsklaven gehalten. „Er hat die Behörden immer wieder angefleht, ihn zu verlegen“, erzählt Kara Gotsch. „Die Antwort war lediglich: Sie müssen lernen, damit fertig zu werden. Das ist eben so im Gefängnis: Man wird vergewaltigt.“

Zu wenig Personal, zu viele Gefangene Fälle wie diese bekommt die ACLU zu tausenden zugeschickt. Demütigung, Missbrauch, Gewalt – Alltag in amerikanischen Gefängnissen. Die wichtigste Ursache sind laut ACLU überfüllte Gefängnisse und zu wenig Personal. Es gebe nicht genug Aufseher für die Gefangenen und zu wenig Erziehungsprogramme. Die Gefangenen säßen oft einfach untätig herum. Und das Ergebnis sei häufig Gewalt. Das Wachpersonal sei häufig schlicht überfordert.

Ted Connover hat ein Jahr lang als Aufseher in Sing Sing in New York gearbeitet. Er sagt zwar, dass in der Ausbildung auf Geduld und Verhandlungsgeschick gesetzt wird. Aber manchmal bleibe nur Gewalt, etwa bei einem Aufruhr, den er erlebt hat: „Unser Befehl war: wir zeigen ihnen, wer der Boss ist. Aber einige Häftlinge haben Widerstand geleistet. Also haben wir sie aus den Zellen geholt. Zu viert, mit Helmen und Schilden, wie die Bulldozer und haben sie gegen die Wand gequetscht“, so Connover.

Teufelskreis von Missbrauch, Gewalt und Gegengewalt Die Zahl der Häftlinge in den USA hat sich seit den 80ern rund vervierfacht. Nicht, weil die Verbrechensraten so stark steigen, sondern weil die Gesetze in den USA die längsten Strafen der Welt vorschreiben, so Wissenschaftler Ryan King: „Seit beispielsweise Kalifornien vor zehn Jahren ein Gesetz verabschiedet hat, dass jeder Kriminelle nach der dritten Verurteilung automatisch mindestens 25 Jahre hinter Gitter muss, platzen die Gefängnisse aus allen Nähten. Und damit auch das ohnehin knappe Budget. Der zuständige Minister Stephen Green sagt dazu: „Unsere Gefängnisse haben derzeit eine Auslastung von 191 Prozent ihrer Kapazität. Einige Gesetzgeber wollen einen Teil der Häftlinge entlassen, aber der Governor ist dagegen. Wir werden sicher nichts tun, was die öffentliche Sicherheit gefährdet.“

Das heißt mit anderen Worten: Gespart wird bei der Rehabilitation und beim Wachpersonal. Und damit beginnt der Teufelskreis von Missbrauch, Gewalt und Gegengewalt von vorn, so Kara Gotsch. „Wir verwahren die Gefangenen nur, ohne Chance auf Rehabilitation“, ist ihre Meinung. Zwei Drittel von ihnen begehen nach der Entlassung neue Verbrechen und würden wieder eingesperrt. „Das System muss einfach verbessert werden.“

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