Das muslimische Totengebet blieb lange unvergessen. Gerade einmal elf Jahre ist es her, dass der rechtsradikale Solinger Brandanschlag am 29. Mai 1993 fünf türkische Frauen und Mädchen verbrannt hatte. Vier junge Solinger hatten damals das Haus der türkischen Familie Genç angezündet und die Existenz der türkischen Familie auf einen Schlag zerstört. Der Anschlag löste nicht nur weltweit Entsetzen, sondern auch eine intensive innenpolitische Diskussion aus. Die Tat zeigt aber auch die ganze Unversöhnlichkeit rechter oder rassistischer Thesen mit dem Islam und dem Leben der Muslime auf.
Heute ist die Tat und die Debatte über die Gefahren der Ausländerfeindlichkeit in Deutschland etwas aus den Schlagzeilen gekommen. Trotz vieler Appelle gegen das Vergessen – elf Jahre nach dem fremdenfeindlich motivierten Brandanschlag von Solingen – ist heute kaum etwas davon zu lesen oder in Erfahrung zu bringen. Doch vergessen lohnt nicht; auch geht es nicht etwa um einen profanen Erinnerungstourismus. Der Zentralrat der Muslime fordert zum Beispiel: „Die Erinnerung muss wach gehalten werden, damit so etwas nicht wieder passiert und vor allem: dass es in einer hektischen Zeit, wo der Ruf nach Sicherheit und strengeren Gesetzen Hochkonjunktur hat, nicht wieder dazu führt, dass Ausländer und religiöse Minderheiten Opfer von Gewaltakten werden“.
Viele Muslime befürchten, die öffentliche Rhetorik gegen den Islam könnte auch mittelfristig zu Übergriffen gegen Muslime, vor allem auch gegen muslimische Frauen, führen. „Der Einsatz gegen den Islamismus kommt heute oft genug als politisch korrekte Ausländerfeindlichkeit daher“, klagen viele Muslime in Deutschland.
Der Direktor des Essener Zentrums für Türkeistudien, Faruk Sen, fordert Türken und Deutsche zur Überwindung von Berührungsängsten auf. „Oft leben beide Gruppen noch zu sehr nebeneinander her, und daran sind beide Seiten nicht schuldlos“, kritisierte Sen am Freitag in Essen in einem ddp-Interview. Gerade heute ist die Gefahr einer gesellschaftlichen Trennlinie zwischen türkischen und deutschen MitbürgerInnen wieder gewachsen. Viele Türken interpretieren die Ablehnung des türkischen EU-Beitrittsgesuchs durch die europäischen Konservativen als eine Botschaft, in Europa nicht willkommen zu sein. Und Deutschland liegt zweifellos in Europa.