Die Lage der Muslime in Deutschland wird als nicht einfach beschrieben. Das stimmt. Eine Hundertschaft gewaltbereiter Muslime ist es gelungen, über drei Millionen Muslime in den Zusammenhang mit Terror und Gewalt zu rücken. Liest man den gestrigen Text der islamischen Verbände in Deutschland, dann ist man zunächst über die Selbstverständlichkeit froh, dass man sich einfachen Worten (ein theologisch argumentierender Gelehrter war nicht zu sehen) vom „Terrorismus“ distanziert, man ahnt aber auch, dass die Verbände nun in eine neue Dynamik geraten sind. Sie wollen ab sofort den „guten“ Islam repräsentieren, der immer besser werden will und gegen den „bösen“ Islam arbeiten wird. Was geschieht aber, wenn diese Dienstleistung misslingt, weil die „bösen“ Muslime sich schön längst der Bedeutungssphäre dieser Organisationen entzogen haben? Der scheinbare Bedeutungszuwachs (Presse, Fernsehen usw.) der den politischen Islam nunmehr verwöhnt, weil er gut ist (und immer besser werden muss), geht zu Kosten dieses Paradox.
Der Text hat einen weiteren Mangel. Er definiert, was der Islam nicht ist, vermeidet aber nach wie vor die klare Definition, was der Islam positiv ist. Ist Islam gegen den Terrorismus zu sein, Kopftuch tragen und Religionsunterricht fordern? Oder, ist Islam, wie im Falle der DITIB, nicht mehr viel Anderes als die autoritär organisierte Verteidigung der türkisch-kulturellen Identität? Eine spannende Frage wäre die: Was ist „Islamismus“ und was ist „Islam“ aus Sicht der Organisationen? Die Definitionen werden nicht einfach fallen, denn, die islamischen Organisationen sind selbst nichts Anderes, als ein Phänomen der Moderne. Sie sind die dramatische Weiterentwicklung der lokal verorteten islamischen Gemeinschaft (Amir und Imam, Moschee und Markt) hin zur Massenbewegung, die Macht definiert als die Möglichkeit den Willen vieler Tausender Mitglieder zu organisieren. Sie sind Politik. Sie wollen Macht. Sie sind die andere Seite der gleichen Medaille.
Die islamische Lehre wird heute vom „guten“ und „bösen“ Islam gleichermaßen in die Zange genommen. Auf der einen Seite ist es der Lehre – um nur einige Beispiele zu nennen – in Jahrzehnten nicht gelungen, den Wahhabismus zurückzuweisen, die islamische Lebenspraxis gegenüber Ideologien und ihrer Terminologie abzugrenzen oder das generelle Verbot von Selbstmordattentaten aufrechtzuerhalten. Auf der anderen Seite hat man weder die Auflösung der Regeln der Zakat verhindert noch aber die Auflösung des Nationalismus betrieben. Ganz zu schweigen von den Mogelpackungen des ökonomischen Rechts. Kurzum, die islamische Lehre hat sich in der Moderne den politischen Formen des Machtdenkens unterwerfen müssen und deswegen ist das islamische Recht wie jedes authentische Recht der Moderne, in der Krise. Deswegen muss sich die Lehre in Worthülsen verstecken. Der politische Islam ist in die Pendelbewegung zwischen Ideologie und Esoterik geraten und weben wie ein schwingendes Pendel kann er die Mitte nicht finden.
Weder der politische Zweck, noch die ökonomische Absicht heiligt die Mittel. Dies ist eine der Quintessenzen des Islam. Islam beruht auf Ganzheitlichkeit im Denken und Handeln. Auf der Kontinuität seiner Form. Wer sich für die Essenz des Islam interessiert wird nach dem Asyl der islamischen Lehre Ausschau halten müssen. Wo sind sie, die Gelehrten?