Dass der Klassiker Goethe und das Thema Islam in unserer Zeit von großem Interesse sind, zeigen die zahlreichen Veranstaltungen zum Thema „Goethe und der Islam“. Goethe, der nach eigenen Worten den Verdacht nicht ablehnte, „selbst ein Muselmann zu sein“, hatte trotz des negativen Islambilds zu seiner Zeit seine Seelenverwandtschaft zum Islam und seinem Propheten entdeckt. Goethe verfügte schon zu Lebzeiten – in seinen Verfügungen bezüglich seiner Grabstätte – die Verbannung aller christlichen Symbolik.
Zu den Kennern der Materie gehört neben Katharina Mommsen auch Manfred Osten, der ehemalige Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung. Am Montag sprach Osten in Darmstadt über Goethes „West-östlichen Diwan“ und das Islambild des Dichters. Im Zentrum seines Vortrages stand der laut Osten vergebliche Versuch Goethes, „die eurozentristische Belehrungsgesellschaft in Richtung der Lerngesellschaft zu transformieren“. Diese Lerngesellschaft habe es um das 12. Jahrhundert in Europa gegeben, als viele Grundlagen der Wissenschaft und Philosophie aus der islamischen Welt nach Europa gelangten.
Der „West-östliche Diwan“ selbst sei eine Dialogstrategie, um zwischen Ost und West zu vermitteln. Osten wies darauf hin, dass das persische Wort Diwan eine „Versammlung weiser Männer“ bezeichne und für Menschen in der islamischen Welt positiver besetzt sei als der als „Streitgespräch“ verstandene Begriff „Dialog“. Die Ausübung von Toleranz war für Goethe nicht gut genug. Den Toleranzbegriff habe Goethe vielmehr mit den Worten „dulden heißt beleidigen“ kritisiert, da Toleranz in Anerkennung und Respekt übergehen müsse.
Im „West-östlicher Diwan“ habe Goethe die Summe seiner Beschäftigung mit dem Islam gezogen. Goethe habe die Entschleunigung interessiert, die im Gegensatz zur „veloziferischen Kultur“ des Westens stehe, wobei Goethes Wortschöpfung für „Geschwindigkeit, die des Teufels ist“ stehe. Im zweiten Teil des Faustes ergänzt Goethe bekannterweise diese Dimension mit einer harschen Kritik an der illusionären Natur des „Papiergeldes“. Ein weiterer Kritikpunkt Goethes an der westlichen Welt sei die „gedächtnislose Gesellschaft“ Europas, die durch Aufklärung, Reformation und Französische Revolution ihre Wurzeln vergisst und häufig zerstört. Ein verkürztes Nationalgedächtnis habe das kulturelle Gedächtnis zu dem auch der Glaube gehöre, ersetzt.