Es gibt ein berühmtes Wort von Rainer Maria Rilke, in dem er begeistert – unter dem Eindruck der italienischen Insel Capri – ausruft, dass man Europa nicht wirklich gesehen habe, wenn man nicht einmal diese wunderbare Region staunend betreten habe. Wer würde dem genialen Dichter widersprechen, der ein Leben lang wanderte, auf der Suche nach der Einheit zwischen innerem Seelenheil und äußerem Ausdruck?
Wer, der Überzeugung folgend, dass der Islam Teil Europas ist, sich ebenso auf die Suche nach den Urbildern des europäischen Islam aufmacht, kommt an den bestimmten Verortungen der muslimischen Tradition nicht vorbei. Die Ursprünge des Islam, als eine maßvolle Lebenspraxis, gekennzeichnet durch soziale Dienstleistungen und vernetzter Ökonomie, finden sich auch heute in Andalusien, Sizilien, auf dem Balkan und in Russland.
Wenn ich dabei Granada etwas herausheben will, dann deshalb, weil die Prägung des Reisens eine Besondere wird, wenn der Ort und das eigene Schicksal zusammenfallen. Als Konsequenz ist man dann kein Fremder mehr, sondern erfährt einen erweiterten Begriff von Heimat und wenn man zurückkehrt, dann eben immer auch ein Stück zu sich selbst. Hier, in Andalusien, habe ich nicht nur mit meinem Lehrer die Schadada gesagt, ich habe auch hier geheiratet und – nach der Rückkehr von Pilgerreise – auch eine gute Zeit lang gerastet.
Natürlich wird der eigene Bezug immer überragt von größerer Bedeutung. Vor nunmehr zwei Jahrzehnten habe ich als junger Muslim, mit einer kleinen Gruppe spanischer Muslime, auf einer kleinen Steinwüste die Grundsteinlegung eines Gebäudes erlebt. Es vergingen dann noch einige lange Jahre, bis alle Widerstände überwunden waren hier, gegenüber der altehrwürdigen Alhambra, diese neue Moschee zu errichten. Sie ist heute ein Symbol der Kontinuität des Islam in Andalusien.
«Manche Bilder sprechen für sich», denke ich, als im kleinen Garten der Moschee, sich eine bunte Gemeinschaft muslimischer Generationen zu einem Nachbarschaftsfest zur Erinnerung an die Eröffnung dieser Anlage zusammenfinden. Jedes Jahr kann man hier nicht nur die zuverlässige Veränderung des Bekannten, sondern auch den steten Zuwachs der Moscheegemeinde selbst beobachten. Heute spricht hier ein junger spanischer Imam, Schaikh Ahmad, auf Arabisch und Spanisch über die Bedeutungen der muslimischen Lebenspraxis.
Es gehört zum Stolz dieser Gemeinde, dass sie nicht nur einige Hufadh, also junge Leute die den Qur’an auswendig gelernt haben, hervorgebracht hat, sondern auch, dass ihre Gelehrte sich auf eine lange Tradition der sicheren Wissensvermittlung berufen können. Die Herrschaft von Meinungen ist dementsprechend verpönt und die gleichzeitige Meidung der Extreme, ist auch gegenüber dem Besucher oder Nachbarn eine Versicherung des richtigen Weges.
Es ist also kein Zufall, dass in Zeiten der dunkelsten Maskerade, gerade hier ein buntes Gegenbild entsteht und sogar eine geistige Symbiose zwischen West und Ost möglich erscheint. Mehr noch, man spürt die positive Spannungen, die hier, gerade auch angesichts der Krisen unserer Zeit, entstehen können. Die geistige Verortung beruht so auf genauer Kenntnis des Lebens des Propheten und auf dem Zusammenspiel von Offenbarung und europäischer Geistesgeschichte.