In seinem neuen Buch erklärt Michael Lüders, warum wir „keine Angst vor dem Islam haben müssen“. Der Autor gehört zweifellos zu den wenigen Intellektuellen, die auch einmal kritisch hinterfragen, warum einige hunderte muslimische Desperados eine gewaltige Sicherheitshysterie und Aversion gegen den Islam auslosen konnten. Lüders versucht die historischen, sozialen und politischen Hintergründe herauszuarbeiten. Es ist schon angenehm, dass er dabei nicht dem einfachen Schema verfällt, „wir sind gut, weil sie böse sind“, sondern auch die Folgen eigener Fehler und Versäumnisse, wie den desaströsen Feldzug im Irak, aufzeigt. Ganz nebenbei zeigt der Islamwissenschaftler auch Interesse an der asymmetrischen Opferstatistik des Krieges gegen den Terror – auch das ist selten genug. Lüders scheint überhaupt selbst ein wenig erstaunt, wie banal oft die Meinungsmacher eine grundsätzliche Konfrontation mit dem Islam stricken und so selbst zu Extremisten mutieren.
Wie fragwürdig einfach gestrickte Freund-Feind-Unterscheidungen in der Zukunft sein können, zeigen bereits geopolitische Konstellationen auf dem Balkan oder in Westchina. Lüders politischer Ansatz ist es jedenfalls, „Brücken zu bauen“, denn „die Alternative wäre die Logik der Extremisten.“ Vielleicht erklärt Lüders politische Brillanz auch gleichzeitig den einzigen Mangel des Buches. Auf die bestimmende ökonomische Komponente unseres Zeitalters und die islamische Reflexion gerade darauf geht der politische Kopf Lüders kaum ein. Bezeichnenderweise missversteht er schon bei der Darstellung der „fünf Säulen des Islam“ die Zakat als einfaches Geben von Almosen. Die hochaktuelle Dimension des islamischen Rechts in Bezug auf unsere ökonomischen Realitäten spart er praktisch vollständig aus.
Man mag Lüders recht geben, dass man den Qur’an auch im Kontext historischer Umstände und Situationen lesen muss. Nur, die Brisanz des Qur’ans überhaupt nur in der Vergangenheit anzusiedeln, ein Buch, das nach wie vor Millionen Muslime täglich rezitieren, wäre natürlich ein fataler Irrtum. „Allah hat den Handel erlaubt und die Zinsnahme verboten“ – es sind solche Offenbarungen, die gerade heute ihren vollen Sinn entfalten. Gerade der Europäer selbst kann hier aus seiner Situation heraus bezeugen, dass unser Wirtschaftssystem tatsächlich die natürlichen Abläufe längst auf den Kopf gestellt hat. Heute ist der freie Markt verboten, also monopolisierter Distribution gewichen, und die Krisen unserer Banken lassen keinen Zweifel an der Destruktivität der wundersamen Geldvermehrung.
Die Idee, den Islam auf Dauer in unser demokratisches System zu integrieren, ist ein weiterer Fixpunkt im Koordinatensystem des Buches. Bei aller Bewunderung der Integrationskraft der Demokratien – man darf dabei nicht übersehen, dass auch die Demokratie selbst nicht etwa still steht, sondern sich, man beachte nur die Sicherheitsgesetze, stetig von den eigenen Idealen hinwegentwickelt. Die „neuen“ Demokratien Russland, China und Indien könnten hier bald ganz neuartige Standards setzen. Aber auch in Deutschland steht der demokratische Prozess seit Gründung der Bundesrepublik nicht etwa still. Die Väter des Grundgesetzes hatten wohl kaum vorhergesehen, dass die Macht der Parteien, unproportional zu ihren Mitgliederzahlen, stetig steigt, gleichzeitig aber auch die Mechanismen der Telekratie immer stärker greifen und überhaupt das Primat der Politik, gegenüber globaler Finanzkraft, zur Disposition steht.
Die Entpolitisierung der Massen, die uns heute sorgt, erinnert an die politische Situation der Golfstaaten. So lange die Wirtschaft funktioniert, stört sich niemand an fehlenden demokratischen Standards. Natürlich kann man Lüders’ Position und seine vage Hoffnung auf eine weltumfassende Ordnung der Demokratien schlussendlich verstehen. Allerdings ist in Europa nicht zu übersehen, dass sich noch stärker die Hoffnung auf den alten starken Staat durchsetzt. Wenn man nicht glaubt, bleibt einem eben schlussendlich auch nur der Glaube an den „sterblichen Gott“.