Die politische Welt ist in einem rasanten Wandel. Das sagt jeder und es ist schon ein beinahe altes Sprichwort. Im letzten Jahrhundert ging es dabei um die Machtverschiebung von der politischen zur ökonomischen Ebene. Der Wahnsinn Hitlers beendete die Phase entfesselter politischer Macht, wir erleben nun die stufenweise Entfesselung der Ökonomie. Die Verwertung der Welt statt rassischem Unsinn, Weltinnenpolitik statt Kriegsgeschrei. Ob wir wollen oder nicht, der Hurrican der Globalisierung nimmt seinen Lauf. Die Folgen sind dramatisch und einschneidend, Armut, feudale Strukuren und eine kleine Nische für die Weltreligionen, die aus Sicht der ökonomischen Aufklärung alle gleich falsch sind.
Zu Beginn dieses Jahrhunderts erleben wir auch völlig neue Freund-Feind Konstellationen: auf der einen Seite internationale Finanzkonglomerate, mit eigenen geopolitischen Interessen, auf der anderen Seite die partisanenartige Struktur des internationalen Terrorismus. Dabei ist es eine grobe Missinterpretation zu glauben, dass auf der einen Seite die Vereinten Staaten Amerikas kämpfen und auf der anderen Seite etwa „die“ Muslime. Diese Auseinandersetzungen und die abgründige Kriegsführung auf beiden Seiten dient weder den Amerikanern noch den Muslimen. Der alte Krieg, der zwischen Staaten und ihren Völkern geführt wird, findet nur noch im Museum statt.
Wir stehen vor einem enormen politischen Bewusstseinswandel. Politik ist inszeniertes Spektakel. Massenmedien organisieren den gleichförmigen Zufluss an Stimmen in die politische Mitte. Doch die Zweifel wachsen. Viele Deutschen halten heute ihre politischen Parteien für korrupt. Dies geht aus dem neulich vorgelegten «Korruptionsbarometer» der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International hervor. Danach stufen 59 Prozent der Befragten die Parteien als korrupt oder sehr korrupt ein. Nicht viel besser schneiden die Medien mit 41 Prozent ab. 37 Prozent halten die Wirtschaft und 34 Prozent das Parlament für korrupt. Transparency International, ein Konkurrenzunternehmen zum staatlichen Verfassungsschutz, ist eine positive Variante des privaten Verfassungsschutzes.
Sollte es wirklich so sein, dass die neuen mächtigen, jenseits nationaler Grenzen operierende Finanzstrukturen (Medien, Energieversorgung, Unterhaltung usw.) Einfluss nehmen auf Innen- und Geopolitik, dann stellt sich tatsächlich die Frage nach dem „neuen“ Hüter der Verfassung. Sind es die Medien? Die Verfassungsschutzämter? Die Parteien? Die Gerichte? NGO’s wie Transparency? Auch innenpolitisch verschieben sich dabei zunehmend die Ebenen. Die neue, einleuchtende Bedingung für den aktuellen Schutz der Verfassung wäre heute die ökonomische Unabhängigkeit der „Verfassungssschützer“ – die Frage also bleibt, ist diese Unabhängigkeit bei allen potentiellen Hütern der Verfassung gegeben?
Wer untersucht die strukturelle Verknüpfung zwischen Politik und Ökonomie? Natürlich leben wir noch in den alten bundesrepublikanischen Gewohnheiten: Herr Dr. Müller, Mitglied der XY-Partei, für den Irakkkieg, Aufhebung des Folterverbots und zufällig im Ausichtsrat der XY-AG („Freund der Verfassung“) und Mehmed G., Mitglied bei der islamischen XY-Bewegung, Jurastudent und von einer Bundestagskarriere träumend („Feind der Verfassung). Im Grunde müsste der Verfassungsschutz erweitert werden. Ist eine Attac Ortsgruppe heute nicht der wahrscheinlichere „Hüter der Verfassung“ als ein politisch aufgestelltes Verfassungsschutzamt?
Am Rande des Entführungsfalles Osthoff tauchen ähnliche Fragen am Horizont auf. Gibt es noch die alte Einheit von Staat und Volk: wer ist Deutschland? Ist das Interesse der Siemens AG im Irak identisch mit dem Interesse des deutschen Volkes? Inwieweit kann Siemens auf die Hilfe von Nachrichtendienste zurückgreifen. Wer dient wem? Man muss erst seine Augen gewöhnen, um die neuen Konstellationen auf dem politischen Feld zu erkennen.