Das Thema Muslime in den Medien – im Sinne einer Aufklärung über die Lebenswirklichkeit und Gestalt der Lebenspraxis von Muslimen – wird im Moment lebhaft diskutiert. Letzte Woche habe ich in Frankfurt auf Einladung der Studentengruppe Unikat diesbezüglich referiert. Hierbei ging es mir nicht nur darum die üblichen Grobheiten im medialen Umgang mit uns Muslimen im Lande zu beklagen, sondern das Thema Medien überhaupt in einen geschichtlichen, philosophischen und technologischen Kontext zu setzen.
Am Beispiel der Entstehungsgeschichte von „Zeitungen“ wird schnell klar, dass wir uns zunächst bei der historischen Einordnung der Medien mit dem geschichtlichen Kontext der Aufklärung beschäftigen müssen. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts gab es ja vor allem eine Anwesenheitskommunikation.
Rudolf Schlögl beschreibt dieses Phänomen in seinem wichtigen Aufsatz „Politik beobachten“ wie folgt: „wenn die Gemeinde der Bürger sich gegenüber dem Rat artikulierte, indem sie vor dem Rathaus zusammenlief, mit dem Sturm auf das Rathaus drohte und einen Ausschuss bildete, der mit Rat verhandelte, dann wurde Politik nicht beobachtet, sondern es wurde Politik gemacht.“
Neue Drucktechniken stellten alsbald Kommunikationsmedien zur Verfügung, mit deren Hilfe die Reichweite von Herrschaft sich beträchtlich erweitern lässt, weil sie von der Anwesenheit der Herrschenden entkoppelt werden kann. Es entstand nicht nur eine neue Distanz zwischen Herrschenden und Beherrschten, sondern auch eine ganz neue Perspektive, die beobachtende Öffentlichkeit.
Die Zeitschriften und Journale, die seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts in wachsender Zahl gegründet wurden, sahen zunächst darin eine wichtige Aufgabe, dem Leser Orientierung in der Fülle der zahlreichen (neuen) Buchtexte zu verschaffen. Dies hatte in den periodischen Printmedien naturgemäß eine Säkularisierung des Weltbezuges zur Folge. Das heißt Medien beförderten den „Rückzug der biblischen Prophetie“ und boten dagegen einen diskursiven Freiraum des Politischen an.
Medienkritik begleitete dabei übrigens die Zeitungen seit ihrer Einführung. Der Gelehrte und Sprachwissenschaftler Casper Stieler merkte am Ende des 17. Jahrhunderts an, „dass man in Zeitungen generell mit Nachrichten über wahre und und vermeintliche wahre Dinge zu tun habe und die Zeitungsnachricht deswegen keine anderen Status habe als das Gerücht“.
Natürlich veränderten „Zeitungen“ auch das politische Feld. So informierten sich europäischen Staaten beispielsweise nicht mehr nur über Anwesenheitskommunikation über ihre jeweiligen Absichten, sondern man las zunehmend in überregionalen Zeitungen übereinander. Zeitungen schafften so eine permanente Öffentlichkeit und immer neue Perspektiven. Die Öffentlichkeit beobachtete den Staat, der Staat beobachtet die Zeitungen (Zensur).
Als problematisch zeigte sich im 19. das Verhältnis von Medien mit der Ideologie. Natürlich eigneten sich die neuen Medien nicht nur für die Verbreitung bestimmter Überzeugungen, sondern im schlimmsten Fall auch zur Steigerung radikaler Subjektivität, bis hin zu den Ideologien. Philosophisch kann man wohl sagen, dass Medien nicht nur Perspektiven schaffen, sondern auch dem Willen zur Macht dienen.
„Der Wille zur Macht ist nicht etwa ein Wille zur Wahrheit, sondern ein Wille zum Schein, er ist die setzende, gliedernde und Koordination gebende Kraft, die aus dem Chaos jeweils einen Kosmos konstruiert, dessen Gesetze nicht wahrer sind als die Gesetze möglicher anderer Welten und Weltauslegungen.“ (Paola Coriando)
Natürlich suchte der Philosoph Nietzsche nach höherer, übermenschlicher Wahrheit und stellte über die Machenschaften des Journalismus spöttisch fest: „Mit Zeitungen, selbst den wohlgemeintesten, kann und darf ich mich nicht einlassen: — ein Attentat auf das gesamte moderne Presswesen liegt in dem Bereiche meiner zukünftigen Aufgaben.“
Auch Goethe sieht bereits die typische Gefahr der Politisierung der Gesellschaft durch Medien: „Wenn man einige Monate die Zeitungen nicht gelesen hat, und man liest sie alsdann zusammen, so zeigt sich erst, wieviel Zeit man mit diesen Papieren verdirbt. Die Welt war immer in Parteien geteilt, besonders ist sie es jetzt, und während jedes zweifelhaften Zustandes kirrt der Zeitungsschreiber eine oder die andere Partei mehr oder weniger und nährt die innere Neigung und Abneigung von Tag zu Tag, bis zuletzt Entscheidung eintritt und das Geschehene wie eine Gottheit angestaunt wird.“
Das heißt, im 19. Jahrhundert sorgte sich bereits eine Elite, dass die Medien – ohne eine friedliche Philosophie – letztlich die Freund-Feind-Verhältnisse schüren, verstärken und so auch Ideologien vorbereiten können.
Nicht zuletzt, sollte man hier nicht vergessen, dass sich die Zeitungskultur flächendeckend durchsetzte, weil sie gerade auch die großen Schlachten des 18. Jahrhunderts begleitete. Dabei prägte ihre subjektive Darstellungsform eine bestimmte Perspektive ein: Die Berichterstattung erfolgte gewissermaßen vom Posten des Feldherrn und gewöhnte den Leser daran die Welt aus der Sicht des Herrschers wahrzunehmen. Der Lyriker Christian Friedrich Hebbel (1813-1863) mahnte insoweit: „Zeitungen sind die einzige dem Schießpulver analoge Erfindung, und eine noch gefährlichere als diese, denn sie dienen nur einer Partei.“
Es wäre ein weiteres Thema, die spätere Rolle der Medien im Zeitalter der Herrschaft der Ideologien (NS) zu untersuchen. Technologische Innovationen, ideologische Positionierungen und die Dialektik gegen die Gegner (und ihre „Lügenpresse“) schafften unter Anderem den öffentlichen Raum für die politische Perversion der Nationalsozialisten.
Als eine der Erfahrungen aus der Überwindung von Ideologien sollte sich in der Bundesrepublik auch die Rolle der Medien verändern. Sie sollen, als eine Art „Vierte Gewalt“ zwar keine eigene Gewalt haben, aber die Macht zur Änderung der Politik oder zur Ahndung von Machtmissbrauch besitzen und so durch eine freie Berichterstattung die öffentliche Diskussion und das politische Geschehen beeinflussen können. Die eigentlichen Herausforderungen für die Freiheit dieser Medien sind nun weniger politischer, sondern ökonomischer und technischer Natur. Ein Problem ist dabei die Abhängigkeit der großen Medien vom Kapital und die Tendenz zur Medienkonzentration.
Die Rolle neuer Technologien verändert die Medienlandschaft dramatisch. Der Anteil der Menschen in Deutschland, die sich in einer (Print-) Zeitung über das aktuelle Geschehen informieren, ist seit 2005 von 51 auf auf nur noch 36 Prozent gefallen. Das Durchschnittsalter des Spiegel-Online-Lesers, so liest man bei telepolis, liegt heute bei 53, bei der Printausgabe sogar noch deutlich höher.
Der Trend der Jugend zu den sozialen Medien wird unsere Wahrnehmung von Öffentlichkeit und Privatheit weiter radikal ändern.
Viele Medien ist der ökonomische Druck, der sich in oberflächlicher und plakativer Berichterstattung zeigt, natürlich deutlich anzumerken. Im zweiten Teil meines Referat ging es mir insbesondere über die Rolle der Muslime in den Medien und das geläufige Spiel mit der Angst.
Der Philosoph Peter Sloterdijk beschreibt nach dem 11. September, sicher auch eine Zeitenwende in Bezug der Berichterstattung über die Muslime, ein grundsätzliches Phänomen: „Der Terrorismus wird bei uns geradezu sakralisiert. Denken Sie an das Buch ‘Powers of Ten’: Da sieht man eine Reise durch den Kosmos – vom Größten bis zum Kleinsten – wobei man den immer gleichen Bildausschnitt beibehält, ihn aber jedesmal um eine Zehnerpotenz vergrößert darstellt. Erst sieht man Galaxienhaufen, dann die Milchstraße, die Erde, ein Land, eine Stadt, einen Garten, dann liegt da ein Paar auf der Wiese, schließlich fährt die Kamera in die mikroskopische Welt hinein und holt die Elementarteilchen an die Oberfläche. Da erlebt man plastisch die Macht der Vergrößerung. Etwas ganz Ähnliches geschieht heute mit dem Terror: Nadelstichgroße Effekte im Realen werden durch unsere Medien bis auf das Format von interstellaren Phänomenen vergrößert.“
Zweifellos gehört es zur Macht von Medien Ereignisse zu verstärken, manchmal auch quasi zu verkaufen. Muslime werden heute in den Medien zweifellos als „Täter“, seltner aber als „Opfer“ dargestellt. Gegen diesen (subjektiven) Eindruck kann man allerdings auch andere Fakten setzen. Überhaupt gibt es natürlich viele Journalisten, die – gegen den Trend – diese differenzierte Positionen immer wieder verbreiten.
Diesen Versuch zur Differenzierung unternahm zum Beispiel Rüdiger Scheideges vom „Handelsblatt“. Er schreibt: „2014 sind weltweit rund 33.000 Menschen durch Terrorismus (nicht durch Kriege!) vernichtet worden. In westlichen Ländern aber ist der islamische Fundamentalismus entgegen unserer Wahrnehmung nicht die Hauptursache für Terrorismus: 80 Prozent aller Getöteten standen nicht im Fadenkreuz von Dschihadisten, sondern sind Opfer von Einzeltätern, die politische oder religiöse Extremisten, Nationalisten oder Rassisten waren.
Außerhalb Europas ist die Lage weitaus prekärer: Allein der Irak hatte im vergangenen Jahr 9.929 Tote durch Terroranschläge zu beklagen, die höchste jemals in einem einzigen Land erfasste Zahl. In Nigeria starben 7.512 Menschen infolge terroristischer Anschläge. 78 Prozent aller Todesfälle und 57 Prozent aller Angriffe konzentrierten sich auf fünf Länder: Afghanistan, Irak, Nigeria, Pakistan und Syrien. Elf Staaten hatten 2014 mehr als 500 Terrortote zu beklagen. Alle diese Fakten ändern aber nichts an der Furcht, im Zentrum des Terrorismus zu stehen.“
Das Phänomen des IS/Daesh stellt nochmals eine Steigerung der Begriffsverwirrung und der Verbreitung dunkler Assoziationsketten dar. Die Debatte über die Muslime in den Medien hat sich seit dem IS-Terror nochmals deutlich verschärft. Die NGO Mediatenor hat für eine Studie nach eigenen Angaben alle 265.950 Berichte über Akteure sowie 5.141 Berichte über den Islam, die katholische und evangelische Kirche in 19 deutschen TV-, Radio- und Printmedien ausgewertet.
Christian Kolmer, Leiter Politik bei Mediatenor, bringt die Lage auf den Punkt: „Der Islamische Staat katapultiert das Medien-Image des Islam in einen katastrophalen Zustand.“ Das mache Islam und Muslime zur einzigen gesellschaftlichen Kategorie, die schlechter beurteilt wird als Banker, Politiker oder Journalisten. „Wie das Image des Islam sich aus diesem absoluten Tiefstand erholen soll und in welchem Zeitraum das möglich ist, muss alle Kräfte der Integration mit größter Sorge erfüllen“
Im letzten Teil meines Vortrages, ging es dann neben einigen konkreten Beispielen tendenziöser Berichterstattung um grundsätzlich fragwürdige Techniken der Berichterstattung.
Wie schon an anderer Stelle ging es mir hier um neue „Assoziationstechniken“, aktuelle Fragen der Definitionshoheit, die Markierung von Andersdenkenden und natürlich auch um die Ablehnung paradoxer Wortschöpfungen wie den „islamischen“ Terrorismus.
Natürlich berichtete ich hier auch über unsere 20-jährige Erfahrung in der Herausgabe der „Islamischen Zeitung“.
Gefreut habe ich mich übrigens auch über die anschließende rege Diskussion; besonders weil es hier um die Suche nach konstruktiven Ansätzen ging, zum Beispiel unser Engagement für eine positivere Medienpräsenz.