„Nadelstichgroße Effekte im Realen werden durch unsere Medien bis auf das Format von interstellaren Phänomenen vergrößert“, so hat Peter Slotderdijk die optische Täuschung und eigentümliche neue Macht der Medien beschrieben. „Nadelstichgroße Effekte“, die vergrößert werden. Natürlich kann jedes moderne Medium diese Beispiele des Kulturkampfes, der Verrohung und des Bruches der guten Sitten, unabhängig vom Ort, beliebig und ohne große intellektuelle Anstrengungen endlos reproduzieren. Die Macht der Medien, in dieser Vorstellung, ist dann nichts anderes als die Herrschaft und Entscheidung über den uns angebotenen Wirklichkeitsauschnitt, der uns und unsere Emotionen radikalisieren oder lähmen soll.
Ulrich Tillgner, ein mutiger und sympathischer Korrespondent des ZDF, hat bei „Kerner“ andere, menschliche Relationen gestiftet. Tillgner hatte bereits im Irak die „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ persönlich erlebt. Hier hört man zu. Die launische Runde – es ging um die religiöse Fanatisierung des Iran – blickte verstört auf, als Tillgner, im Gegensatz zu den Anwesenden, eine konkrete existentielle Erfahrung zu bieten hatte: „Ich war dort. Bei der Demo an der dänischen Botschaft waren 200 Leute. 70 Millionen Iraner hat das nicht interessiert.“ Johannes B. blickte verlegen ins Abseits, während uns nur die kurze Erholung des Schweigens blieb.
Schweinwerferlicht kann blenden, Hitze schaffen, wo eher Kälte ist. „Ich bin nur ein Schauspieler“, sagt Klaus Maria Brandauer alias Gustav Gründgens in der berühmten Schlussszene des „Mephisto“, als ihn das letzte Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit blendet. Als er bemerkt, dass er benutzt wurde, dass die ihm vom Medium scheinbar verliehene Macht trügt, ist es schon zu spät für ihn. Mediale Darstellung ist eine Versuchung und wohl immer auch dann eine besonders subtile Gefahr, wenn man sich dadurch Ermächtigung für die eigene Sache verspricht. Dabei können wir vernachlässigen, ob man in einer Talkshow überhaupt „nur ein Muslim sein“ kann, so wie man nur ein Muslim ist, wenn man die Schulter des Nebenmannes beim Gebet spürt. Wir sollten aber wachsam sein, ob die uns lieb gewonnene Wahrheit, die wir ja eigentlich medienwirksam vertreten wollten, nicht im Feuerwerk und Spektakel der Meinungen als eine Beliebige verpufft.
Es ist ein gutes Zeichen, wenn wir uns vor und hinter der Kamera schwer tun oder wir uns gar der schnellen Verwertung entziehen. Obwohl wir ja Beobachtung gewohnt sind und am Ende immer in die gleiche Wirklichkeit schauen. Sind wir als Gläubige und Zeugen der einen Wirklichkeit nicht beobachtet, in jeder Sekunde, von der Wirklichkeit, die uns schuf und deren subtile Aufzeichnungen sich in unserem Leben abbilden? Auf den Dingen, die wir hier sehen und auf den wechselnden Zuständen scheinbarer Macht und Ohnmacht, liegt wie der Tau der Zauber der ganzen Welt und der uns wirklich angehenden Bedeutungen. Zakat bezahlen, Gebet verrichten und der Versuch, sich so zu verhalten, als ob einen der Schöpfer in jedem Augenblick sehen würde, sind die zentralen göttlichen Regieanweisungen für unser Leben. Und so erschreckt uns nicht der Umstand, den Ernst Jünger einmal schön formulierte, dass uns eines sicheren Tages „gleichgültig wie ein Kellner, der Tod die Rechnung präsentieren wird“.
Amüsiert hat mich auch der letzte „SPIEGEL“, der sich ja, seit dem Tod des eigenständig denkenden Augstein, geräuschlos verwandelt hat. Die neue Beliebigkeit des Chefredakteurs Aust erinnert ein wenig an Karl Lagerfeld, der sich modisch von Chanel zu H&M weiterentwickelt, weil am Ende ja nur wirklich schick ist, was sich auch gut verkauft. Die radikale Subjektivität des Blattes, wenn es um die panisch wirkende Darstellung des Islam geht, spricht für nichts anderes als Angst. Im eigenen Spiegel der philosophischen Entscheidung, wo die „Politik der kleinen Schritte“ auf endlos langen Seiten reflektiert wird, kann es einfach keinen rettenden Gott geben. Das wäre für die Herren in Hamburg in der Welt der letzten Zumutungen eine, die sich auch noch geschäftsschädigend auswirkt.
Herrlich natürlich das „SPIEGEL“-Interview mit Joop („Luxus ist nicht demokratisch“), wo die einst gefürchteten Spiegel-Macher „dem Recht auf Luxus“ das Wort geben. Hat der ganz hinten im Blatt vorgestellte Nicolas Gomez Davila nicht einmal gesagt: „Von den Menschenrechten verteidigt der moderne Liberalismus schon nur mehr das Recht auf Konsum.“