„In Frankfurt (Oder) ist ein Mann verblutet. Das Alter der Täter: 16 und 17 Jahre. Ihre Beute: 3 Euro. Der Tatort: Neuberesinchen. Das Viertel ist bekannt für Armut und Gewalt. Seit Jahren versucht die Kommune, den Niedergang aufzuhalten – mit Sozialarbeit für die, die man erreicht.“ (taz vom 21.10.2006)
Parallelgesellschaft, Gewalt, Erosion der Demokratie – diese Debatten wurden in Deutschland über Monate in Bezug auf den Islam geführt. Doch jetzt holt uns die bundesrepublikanische Realität wieder ein: Armutsdebatte, Kindsmisshandlung, rechter Flügelsturm. Der vielbesungene Islamismus ist bei nüchterner Sichtung der Problemlage eher eine Randerscheinung. Das Kernproblem ist ökonomischer Natur: Die Globalisierung verstärkt die oligarchischen Tendenzen im Lande und schafft eine neue wachsende Schicht, die im ökonomischen Prozess schlicht nicht mehr benötigt wird.
Ohne das Lebenselixier der kapitalistischen Gesellschaft – dem Geld – fühlt sich dieser Teil der Gesellschaft ohnmächtig und nutzlos. „Bloß eine Klasse der Gesellschaft denkt mehr über das Geld nach als der Reiche, und das ist der Arme. Der Arme kann sonst nichts denken. Und dies ist das Elend der Armen“, kommentierte Oscar Wilde die Armut im Materialismus. Zur materiellen Armut gesellt sich die geistige. Bildung wird bei uns immer mehr zur Geldfrage: Wer keines hat, bekommt auch keine. Für diese neuen Armen gibt es weder Theater, noch Schiller und Goethe, eigentlich überhaupt keine „Leitkultur“ mehr, wohl aber Brot und Spiele im „Unterschichtenfernsehen“.
Der Umgang mit der Armut beschäftigt auch den Soziologen und linke SPD-Vordenker Oskar Negt. Er sieht Deutschland sogar auf dem Weg in eine Klassengesellschaft. In der „Thüringer Allgemeine“ erklärte er: „Die Schichten waren konzipiert gegen die Klassen. Die Schichten waren durchlässig. Was jetzt passiert, erinnert strukturell eher an die alte Klassengesellschaft.“ In diesem Kontext der Verschärfung sozialer Gegensätze im Lande sind auf Dauer auch die Bemühungen um die allgemeine Sicherheit einzustufen. Der Bürger selbst wird nicht nur als potenzieller Terrorist, sondern auch als potentieller Steuerflüchtling oder Arbeitsloser verdächtig. Die Politik gaukelt uns dabei vor, dass der gigantische Sicherheitsapparat jederzeit unter politischer Kontrolle sei. Das Szenario rebellierender Armer scheint dabei realer als revoltierende Islamisten.
Der Islam hat nicht nur Jahrzehnte gegen das kommunistische Gesellschaftsmodell opponiert, sondern akzeptiert natürlich auch das Eigentum. Arme und Reiche sind durch die Zakat miteinander verbunden. Die Zakat verpflichtet die Wohlhabenden dabei zur unbedingten Solidarität mit den Armen. In der Moschee selbst verwischen naturgemäß die materiellen Gegensätze. Die Moscheeanlage, ergänzt durch soziale und ökonomische Einrichtungen, ist traditionell ein wichtiger Bildungsort für Arme und schafft durch die Angebote der angeschlossenen Stiftungen ein Mindestmaß an Lebensqualität.