„Und tötet Euch nicht selbst..“ (Sura an-Nisa,32)
Die gemeinsame Empörung geht über religiöse oder kulturelle Grenzen hinaus: Das brutale Morden und Töten in Beslan findet zu Recht keine Sympathie, auch bei denen nicht, die das tragische Schicksal der tschetschenischen Bevölkerung über die letzten Jahre verfolgt haben. Dies schließt nüchterne Kritik an der jahrelang duldsamen Russlandpolitik der Bundesregierung nicht aus. Eine Kritik die doppelt schwer wiegt, da Deutschland in Moskau wirklich Einfluß hätte.
Bundeskanzler Schröders Bemerkung über die tschetschenischen Wahlen ist keine Tagespolitik, sondern hier schließt sich nur ein Kreis. Die Kritik am Schweigen Schröders muss aber auch sinnrichtig ergänzt werden: Nicht nur in Moskau hat der Kanzler geschwiegen und öffentliche Kritik vermieden, sondern zuvor auch bei seinem Besuch in Riad. An beiden Orten geht und ging es aber nicht nur um Ölpolitik, sondern auch um politische Glaubwürdigkeit im „Kampf gegen den Terrorismus“.
Es ist keine Frage, dass die Lunte für die explosive und zynische Radikalisierung tschetschenischer Gruppen nach Saudi-Arabien führt. Ist es ein Zufall, dass die jungen Beförderer der radikal-wahhabitischen Religionsauslegung im Kaukasus zumeist in der Madinah-Universität studiert hatten? Es ist die Tragik der tschetschenischen Bevölkerung, dass die jahrhundetealte sufische Tradition in nur wenigen Jahren von saudischen Gelehrten entscheidend geschwächt werden konnte. Nach dem 1. Tschetschenienkrieg ist die Unabhängigkeitsbewegung, die einst die größte Armee der Welt besiegte, zu Friedenszeiten im Chaos gieriger Kapitalisten, Krimineller und militanter Wahhabiten untergegangen. Dafür kann auch der Westen nichts.
Der Terror im Kaukasus beeinflusst nun die Weltpolitik. Es ist eine Politik, die das Selbstbestimmungsrecht der Völker nur noch selektiv zulässt. Wo liegt eigentlich in der Beurteilung Berlins der Unterschied zwischen Grozny und Zagreb, zwischen Kroaten und Tschetschenen?
Der ungezügelte Terror geht einher mit der offensichtlichen Krise der islamischen Lehre im arabischen Raum. Geschwächt durch Nationalismus, Korruption und Ignoranz hat sie die alte Strahl- und Unterscheidungskraft längst verloren. Die unselige Akzeptanz von Selbstmordattentaten durch „moderne“ arabische Gelehrte schlägt nun auf alle Muslime zurück. In der Frage der Selbstmordattentate kann es aber angesichts des irren Terrors keine Neutralität mehr geben, hier muss man Farbe bekennen. Diese Frage an die Muslime geht tief und die klare Beantwortung wiegt schwerer als die ritualisierte Formulierung der Distanzierung.