Ich war gerade auf einer kleinen Tour und habe drei verschiedene Vorträge in der Schweiz und Deutschland zu den Themen „Islam und die Ökonomie“, „Der Beitrag der europäischen Muslime“ und „Goethe’s Aktualität“ gehalten. Wieder einmal war ich beeindruckt vom ungeheuren Potential der jungen, intelligenten und gut gebildeten Muslimen, das im deutschsprachigen Raum heranwächst.
Im Grunde ging es bei allen Vorträgen um die Frage nach dem inneren und äußeren Gleichgewicht, das für eine konstruktive Präsenz der Muslime in Europa nötig wäre. Ein Motiv dabei war die philosophische – im guten Sinne frag-würdige – Definition, der „Nihilismus ist die Trennung von Ordnung und Ortung“.
Auf solchen Reisen korrespondiert oft der Gedanke mit den Orten, die man besucht oder auf dem Weg liegen. Man bewegt sich beinahe unbemerkt in einen Bedeutungszusammenhang, den keine Reiseplanung voraussehen kann.
In Winterthur habe ich mehr oder weniger zufällig mit einem Freund eine Kunst-Ausstellung besucht. Der Industrielle Christoph Blocher präsentierte dort seine Privatsammlung Schweizer Maler. Die meisten Bilder stellen das typisch Schweizer Milieu dar, die Reflexion auf Landschaften, Berge, Straßenszenen und Kinder. Es ist eine Welt des Lokalen, die noch den Raum umfasst und in dieser romantischen Form wohl nur noch im Museum zu bewundern ist.
In Baden-Baden wiederum war ich fasziniert von der „Andreas Gursky“-Ausstellung im Museum Frieder Burda.
Hier ging es um den Einbruch der Moderne, der Welt der Technik in unsere globalisierte Lebenswirklichkeit. Der Künstler photographiert Supermärkte, Börsen, Parteiververanstaltungen, Rockkonzerte und Kirchentage. Gursky zeigt, so heißt es im Katalog, wie „Computerdateien mit ihren millionenfachen Bildpunkten unsere Vorstellung von Wirklichkeit neu ordnen“.
Blicken wir heute auf unsere Lebensverhältnisse, die Ordnung unserer Städte, die Präsentation der „Wirklichkeit“ in den Medien, ahnen wir, dass weder Technokraten, noch Konservative heute die Frage nach dem guten Leben – einem Leben der Balance – wirklich überzeugend beantworten können.
Können wir Muslime eine Antwort geben?
Vor der ungeheuren Flut an Bildern, der Informationen und beschleunigten Weisheiten flüchte ich manchmal in Freiburg in meinen Lieblingsbuchladen „Zum Wetzstein“. Man erhält dort eine maßvolle Auswahl kluger Literatur. An guten Tagen findet sich dort das eine Buch, das vielleicht einen Hinweis für den Moment gibt.
Meine Wahl fällt auf eine Neuauflage des Buches „Fes. Stadt des Islam“ von Titus Burckhardt. Es ist eine Beschreibung aus einer Zeit, als die islamische Stadt noch eine ganzheitliche Welt formte. Auch diese Orte wirken heute nur noch wie eine Art Denkmal in die Welt hinein.