Der Druck auf alle Religionen, ihre überlieferten Formen aufzugeben und sich den menschlichen Erwartungen anzupassen, ist enorm. Gleichzeitig herrscht auf dem Markt der globaliserten Religionen die Qual der Wahl. Die Kirchen werden immer leerer, auf der anderen Seite wird in Deutschland das Oberhaupt der tibetischen Buddhisten, der Dalai Lama, neugierig beschnuppert. Während die Säkularisierung im Alltag ungehemmt voranschreitet, scheint das Bedürfnis nach religiöser Spiritualität gleichzeitig wieder zu wachsen. Der Soziologe Ulrich Beck bezeichnet diese widersprüchliche Entwicklung als Individualisierung des Glaubens. Gemeinschaft und verbindlicher Konsens zwischen den Gläubigen schwindet.
„Die Einheit von Kirche und Glauben zerbricht“, heißt es zum Beispiel für immer mehr Christen. Die Integrationskraft der neuen globalen Welt, die mit einem grenzenlosen Kapitalismus einhergeht, ist enorm. Kein Individuum kann sich dieser Kraft zunächst entziehen. Kultur, Heimat, Nation, Religion – alles wird gleichermaßen hinfällig und schrittweise kommerzialisiert. Religiös motivierte Terroristen verstärken noch mit ihren nihilistische Taten diese gewaltige, manchmal auch gewalttätige Integrationsbewegung. Der postmoderne Mensch bastelt sich aus dem „Warenlager letzter Bedeutungen“ (Thomas Luckmann) seinen eigenen Gott, bleibt aber allein. Hier besteht ein Gegensatz zu den traditionellen Ansätzen: Eine Religion, über die man alleine entscheidet, die man alleine ausübt oder alleine definiert, ist hier undenkbar.
Suhrkamp will mit einer im September auf den Markt kommenden neuen Verlagsreihe mit ihren zunächst 17 Büchern den Diskurs über die Religionen und das Thema Inter-Religiosität vorantreiben. Das Thema Religion ist das letzte große Thema. „Wir sehen den Verlag als Diskussionsforum“, sagt dessen Chef Hans-Joachim Simm. Im Mittelpunkt des Programms stehen die großen Editionen der Schriften der Weltreligionen – versehen mit wissenschaftlichen Kommentaren. Zur Premiere werden die grundlegenden Schriften des Vedismus vorgestellt, einer der ältesten Religionen der Welt. Neben Editionen zu allen weiteren großen Weltreligionen ist Verlagschef Hans-Joachim Simm besonders stolz auf das „Buch der Vierzig Hadithe“, der als Katechismus des Islams gilt und gleich mit drei Kommentierungen versehen wurde.
Aus kritischer Sicht sind alle Religionen am Ende gleich wahr oder gleich falsch. Wahrheit ist hier grundsätzlich relativ. Den Editionen als der „Flotte des Programms“ (Suhrkamp-Chefin Ulla Unseld-Berkéwicz) werden Essaybände zur Seite gestellt, die dann quasi als „Lotsenboote“ in der kritischen Tradition des Verlags das Thema Religion hinterfragen sollen. Zum Auftakt wird Peter Sloterdijk unter dem Motto „Gottes Eifer“ den Kampf der drei monotheistischen Weltreligionen um die Deutungshoheit analysieren. Der Münchner Kulturanthropologe Michael Hochgeschwender wird sich mit dem Fundamentalismus der amerikanischen Evangelisten beschäftigen. Und der Moraltheologe Jean-Pierre Wils wird sich der „Gotteslästerung“ annehmen, die spätestens seit dem Streit um die Mohammed-Karikaturen einer dänischen Zeitung wieder weltweit für Schlagzeilen sorgte. Vermutlich wird der Leser, der nach einem authentischen Weg sucht, eher verwirrt zurückbleiben.