Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen! Sprich: Es ist der eine Gott, Der ewige Gott ; er zeugt nicht und wird nicht gezeugt, Und keiner ist ihm gleich. (Al-Ikhlas, Sure 112)
„Nichts ist so unglaubwürdig wie die Wirklichkeit“, hat Dostojewski einmal festgestellt und damit auf die Fragwürdigkeit menschlicher Zeugnisse angespielt. Dieser Aspekt, insbesondere der moderne Zweifel an der Existenz von Wahrheit überhaupt, wird im medialen Zeitalter verschärft, wo man sich sozusagen virtuell und nach Belieben eine passende Wirklichkeit zusammenstellen kann. Während die Wissenschaft die zweifelhafte Idee der Objektivität hochhält sind die Medien einer mehr oder minder offenen Subjektivität verfallen. Die letzte Wahrheit zeigt sich für die Massenmedien in den Verkaufszahlen. Politisch sinnvolle Debatten, die zunächst einer Einigung bedürfen, was wirklich ist, fallen weg.
Während man früher mit seinen Nachbarn immerhin die gleiche Zeitung las, setzen heute Internetseiten Wirklichkeiten, in denen es sich bequem und folgenlos leben lässt, zusammen. Die TV-Gesellschaft produziert nach Auffassung von Franz Walter in einem Spiegel-Online Essay in letzter Konsequenz den „hedonistischen Materialisten“. Dabei handelt es sich nach Walter meist um jüngere Leute, denen es insbesondere darauf ankommt, schnelle eine Menge „Kies zu machen“, um „den Schotter“ dann ebenso rasch wieder auszugeben. Interesse an den öffentlichen Angelegenheiten zeigen sie nicht. Statt dessen findet man bei ihnen eine geradezu hybride Konsumentenhaltung: Gern und viel wird genörgelt; passt einem das angebotene Programm nicht, wird es eben weggezappt.
Über die Begrenzung des festgelegten Ausmaßes der Erkennnis des Einzelnen erzählt die folgende alte Geschichte Ibn ‘Arabis: Verschiedene blinde Menschen waren an einem Ort versammelt. Sie begannen ein Thema zu diskutieren: „Wir fragen uns, ob wir einen Elefanten erkennen können“. Der Wärter der Elefanten nahm sie mit zum Elefantenhaus. Ein jeder fand einen Teil des Elefanten und hielt sich daran fest – einige am Ohr, einige am Fuß, einige am Bauch, einige am Rumpf. Nachdem sie den Elefanten auf diese Weise gut kennengelernt hatten, begannen sie, unter sich zu streiten. Wer das Bein des Elefanten festhielt, sagte, der Elefant sei wie eine Säule. Wer das Ohr hielt, sagte, der Elefant sei wie eine Serviette, und wer den Elefanten von dessen Bauch her kannte, sagte, er sei wie ein Fass. Kurz, sie kannten den Elefanten als den Körperteil, den sie festhielten: Solcherart waren ihre Überzeugungen.
Im Islam legen Qur’an und Offenbarung und das Leben des Propheten die eine Wirklichkeit für über eine Milliarde Gläubige fest. Zweifellos sind wir zahlreich als Individuen und Typen, verfolgen unsere lokalen Angelegenheiten, aber unsere Basis als Muslime haben wir dennoch in einer Wirklichkeit die uns alle vereint.
In dem Klassiker „Der Weg Muhammads“ hat Schaikh Dr. Abdalqadir-as-Sufi diese eine Wirklichkeit und damit das Thema von Tasawwuf definiert. Die prophetische Aussage „Ich bin nur ein Sklave der Wirklichkeit, dennoch bin ich der Gesandte der Wirklichkeit“, ist das Leitbild. Weiter heißt es dort: „Allah“ definiert nicht Allah, es ist unsere Andeutung, dass er gegenwärtig ist, obwohl Er nicht an irgendeinem Ort ist. Es gibt keinen Gott. Unter demselben Vorzeichen kann man sagen, es gibt kein „Ich“, das Gott verwerfen könnte; denn sonst wäre ich gottgleich – also eine Macht, die dieses oder jenes setzen könnte.