Die weltweiten Verheerungen des Kapitalismus zu bändigen, bleibt die große Herausforderung an den Menschen. Was den Abgrund des Hungers angeht, gibt es bisher vor allem unterschiedliche Ansätze der Problemverdrängung: Christliches Mitleiden, Nihilismus oder einfaches Ignorieren der Fakten. Auch reines Almosengeben der Reichen hat das Problem nicht gelöst. Nachdem die Entwicklungshilfe einiges an Kosten verursacht, ist der nächste logische Schritt, diesen Kostenfaktor als unnütz zu erklären und mit einer kühlen Wendung den Hunger selbst als notwendigen „Reinigungsprozess“ zu akzeptieren.
Dr. Nikolaus Fest stellt auf Bild.de noch einigermaßen schüchtern die Kernfrage: Unabhängig von dieser Einschätzung bleibt die Frage, wie viele Menschen der Planet verträgt. 8 Milliarden, 10 Milliarden, 12 Milliarden? Oder sind die jetzigen 6 Milliarden schon viel zu viel? Soll man tatsächlich den Hungernden helfen, bis alle Meere leer gefischt und alle Wälder gerodet sind? Oder verpflichtet die Ehrfurcht vor der Schöpfung, diese eventuell auch auf Kosten der Menschen zu erhalten, sei es durch unterlassene Hilfe bei Hungersnöten, Tsunamis und Bürgerkriegen, sei es durch rigorose Geburtenkontrolle wie in China?
Noch gibt es für Dr. Fest keine „einfache Antworten“ auf die Frage, ob man den romantischen Versuch der Hilfe nicht besser einfach unterließe. Der Humanismus des Westens, der bisher dem millionenfachen Sterben nicht viel entgegenzusetzen hat, würde dann die eigene Ratlosigkeit und Passivität als „Vernunft“ verklären können. Die Frage nach dem Systemfehler, die Frage nach dem Wesen des Kapitalismus selbst bliebe aber weiter ungestellt. Noch wird hier nur ein Zynismus angedeutet, es bleibt noch vage, zu welchen Opfern das blinde Festhalten am Kapitalismus bereit ist.
Jean Christophe Rufin beschäftigt sich schon lange mit dem „Überlegenheitsgefühl“ der Reichen und dem neuen Limes, der ihre Wohlstandszonen umgibt. Rufin stellt in seinem aktuellen Thriller 100 Stunden eine neue Perspektive vor, nämlich den Menschen selbst als das Problem in einem schwankenden Ökosystem anzusehen. In dem Roman entschließen sich „Ökoterroristen“, dem Problem Herr zu werden, in dem sie als neue „Herren der Schöpfung“ Millionen von Armen aus dem System zu entfernen planen. Im Gegensatz zu Herrn Dr. Fest, der in seinem Kommentar vom Lesen des Romans abrät, kann ich nur raten, den Roman zu lesen.
Die islamische Position setzt nicht auf aufgeregtes Moralisieren und schon gar nicht auf die fixe Idee einer gottgleichen Souveränität des Menschen, der nun die „Probleme“ der Schöpfung in die Hand nimmt. Zunächst gilt es herauszufinden, was der Islam zum Phänomen der Ökonomie sagt und lehrt. Das Verhältnis zum Schöpfer zeigt sich im Islam auch im ökonomischen Handeln, in der Art, wie man Verträge schließt, zeigt sich im Zinsverbot, in der Maxime des freien Marktes und im gerechten Handel. Die Muslime glauben nicht an paradiesische Zustände auf Erden, wohl aber an die Verpflichtung, Grenzen zu wahren und entsprechend zu handeln.